Der Tod ist nur ein langer Schlaf. Wer fällt, muss nicht endlos stürzen. Der Untergang kann auch Tauchgang sein. Justin Sullivan träumt, fliegt und sinkt wieder in seinen eigenen Mikrokosmos. Dort: Ozeane, Schluchten, Berge, Eis, Einsamkeit. Nach seiner ersten Segelfahrt „Navigating by the Stars“ vor rund 18 Jahren folgt mit „Surrounded“ eine weitere betörende Kollektion eindringlichster Songs aus dem Schaffen eines der unterbewertetsten Songwriters der letzten Dekaden.
Sicherlich nicht übergangen von Medien und Käufern, wiegelt der New Model Army-Sänger und Haupt-Komponist seit Anfang der 80er Jahre mit jeder Albumveröffentlichung eine loyale Schar von Musikliebhabern aus dem Punk- und Alternativebereich auf, die ihm und der Band quer durch Europa folgen – ein Rockstar ist er aber (zum Glück) nicht. Dafür eignet sich ein unangepasster Künstler kaum, der sich nicht nur den Gesetzen der Musikindustrie in Form von Trendanpassungen sondern auch den temporären Verlockungen des Business inklusive verwüsteter Hotelzimmer entzieht.
Dennoch entblößt sich dieser Mensch wie kaum jemand. Auf der Bühne des Freidecks der Kölner Kantine stehen ein Stuhl, zwei akustische Gitarren, ebensoviele Monitore, ein Mikrofon und ein Fußpedal. Letzeres dient dem gelegentlichen Verzerren des Hauptinstruments, der Hall-Zufügung oder dem Abruf einiger Keyboard-Samples. Und dann ist da noch die Stimme.
Gepaart mit seinem bisweilen stechenden Blick unterhält und fasziniert Geschichtenerzähler Sullivan rund 400 Besucher in der ausverkauften Open-Air-Stätte zwei Stunden lang. Neben dem aktuellen Material zitiert der Engländer, sehr zur Freude seiner tanzhungrigen Anhänger, reichlich aus dem Army-Repertoire. Unter anderem füllen „Marrakesh“ , „Over the wire“, „Fate“, „Bad old world“ oder „Passing through“ die Setlist und funkeln bis brennen lichterloh neben neuem Liedgut wie der tragischen Hommage an Südpolwettläufer „Amundsen“, dem retrospektiven Lebensgefühl „1975“, einem Seelen-Regen „Clean Horizon“ oder dem beschwörenden „Unforgiven“ mit seinen in Granit gewuchteten Zeilen „From the wild island with it`s god unforgiving/His mouth is gaping sky/broken teeth made of Mountain“.
Was er dabei sowohl aus den akustischen Sechssaitern als auch aus den eigenen Abgründen holt, gleicht der Energie eines Orchesters, das mit schwarz aufgeblähten Segeln träumend durch das Polarmeer treibt, sich dann brachial durchs Eis gräbt, um dann unbeirrt den Kurs auf ein dem Zuhörer noch unbekanntes Sternbild zu halten. Justin Sullivan ist auf seinem Weg. Sein Halt in der Kantine gleicht einer Nachtmusik für die Schlaflosen. Ein Stoßgebet an die kosmischen Elemente.
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