choices: Herr Walter, welche Verbindungen gibt es denn zwischen dem Beethovenfest Bonn und dem Ukrainischen Jugendsinfonieorchester?
Steven Walter: Das Ukrainische Jugendsinfonieorchester hat sich 2017 beim Campus-Projekt des Beethovenfestes erst gegründet. Das alljährliche Campus-Projekt lädt junge Nachwuchsorchester zum Arbeiten und Musizieren zum Beethovenfest ein und ist ein gemeinsames Projekt mit der Deutschen Welle. Damals gab es noch kein nationales Jugendorchester in der Ukraine. Gründerin und bis heute auch Chefdirigentin des Orchesters ist Oksana Lyniv, die ja gerade auch im letzten Jahr von sich reden machte, weil sie als erste Frau in Bayreuth dirigieren durfte. Hinsichtlich der strukturellen Dinge war 2017 auch das Bundesjugendorchester als Partner dabei, das ein wenig eine Vorbildfunktion bei der Gründung hatte. Seit seiner Gründung in Bonn hat das Ukrainische Jugendsinfonieorchester große Erfolge gefeiert und hat sich etabliert. Das Orchester arbeitet regelmäßig zusammen und gibt in der Ukraine, aber längst auch über die Landesgrenzen hinaus, Konzerte. Am Pult steht dabei häufig Oksana Lyniv, aber auch andere junge ukrainische Dirigenten und Dirigentinnen. Die Gründung war damals schon ein ziemliches Politikum, da sie wenige Jahre nach der Annexion der Krim geschah. Und jetzt ist die Situation natürlich noch mal eine ganz andere.
Sie haben ja auch einen engen Kontakt zu den Musikern. Was bekommen Sie mit, wie sich deren Situation aktuell darstellt?
Nach allem, was wir wissen, sind die meisten Orchestermitglieder geflüchtet. Die Altersstruktur ist ja eine ähnliche, wie man sie auch vom Bundesjugendorchester kennt, also die meisten sind minderjährig und durften das Land verlassen. Es ist aber wohl auch gelungen, für einige der Älteren Sondergenehmigungen zu erhalten, damit auch sie das Land verlassen durften. Hier sieht man, welchen Status das Orchester inzwischen auch in der Ukraine hat. Es wird wirklich als nationaler Kulturträger angesehen, so dass so etwas überhaupt möglich ist. Die Einzelschicksale hinter dem Orchester sind natürlich ganz furchtbar. Viele von ihnen kommen aus Mariupol und anderen Gebieten, die gerade besonders umkämpft sind. Und: Es sind alles sehr junge Musiker*innen, also haben sie natürlich in der Regel auch noch ihre Familien in der Ukraine. was man dennoch als positiv ansehen muss, ist, dass das Orchester in dieser Zeit versucht hat, zusammenzubleiben oder sich auch schnell wiederzufinden. Von zentraler Bedeutung ist hier Ljubljana, das sich ganz allgemein als Anlaufstelle für geflüchtete ukrainische Musiker*innen, quasi als Musik-Campus herauskristallisiert hat. Dort setzt sich auch gerade wieder das ukrainische Jugendsinfonieorchester wieder zusammen. Ab Mai soll es dann auch erste Konzerte unter anderem in Deutschland geben, was sich voraussichtlich auch bis September fortsetzen wird. Die Möglichkeit, als Orchester zusammen zu sein und gemeinsam Musik zu machen, ist natürlich in mehrfacher Hinsicht wichtig: Zum Einen haben die Jugendlichen so die Möglichkeit, auch ihre Familien in den Kriegsgebieten finanziell zu unterstützen. Und zum Anderen gibt es den psychologischen Aspekt, dass das gemeinsame Spiel den traumatisierten Jugendlichen Sicherheit gibt.
Wie genau versucht das Beethovenfest Bonn nun, das Ukrainische Jugendsinfonieorchester zu unterstützen?
Wir unterstützen als Musikfestival natürlich vor allem mit Hilfe der Musik. Auf der einen Seite helfen wir dem Orchester mit Netzwerk-Arbeit, um bis September eine Konzerttournee möglich zu machen und helfen bei strukturellen und organisatorischen Dingen. Ziel dessen ist natürlich auch, dass das Orchester eine langfristige Perspektive hat. Auf der anderen Seite wollen wir dem Ukrainischen Jugendsinfonieorchester natürlich auch beim Beethovenfest eine Plattform geben. Das wird mit einem großen Konzert am 29. August in der Bonner Oper der Fall sein, aber auch bei dem Eröffnungsfest zwei Tage vorher in der Bonner Innenstadt. Über eine aktuell laufende Crowdfunding-Aktion sammeln wir Spenden, um den einzelnen Mitgliedern des Orchesters eine ordentliche Gage zahlen zu können, was natürlich bei Jugendorchestern sonst eher nicht der Fall ist.
Wie kann man denn als Externer das Orchester unterstützen?
Natürlich ganz akut durch Spenden, aber ich denke, es ist auch sehr wichtig, langfristige Beziehungen aufzubauen. Denn wenn dann der Krieg hoffentlich bald vorbei sein wird, dann stellt sich die Frage nach dem Wiederaufbau, die leider zu oft untergeht. Darum ist es so wichtig, strukturelle Partnerschaften aufzubauen, die eben auch für den Wiederaufbau so wichtig sind. Auch an der Stelle sehen wir als Musikfestival natürlich unsere Aufgabe.
Was genau steht denn bei dem Konzert des Ukrainischen Jugendsinfonieorchesters Ende August auf dem Programm?
Grundsätzlich werden natürlich für die Deutschland-Konzerte des Orchesters ganz unterschiedliche Programme erarbeitet. Für uns entwickelt das Orchester ein Programm, das Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 mit ukrainischer Musik verbindet. Es wird eine Uraufführung geben eines zeitgenössischen ukrainischen Komponisten, Denis Borcharov. Das Werk entstand quasi in den U-Bahn-Schächten und Bombenkellern, also mitten im Krieg. Und dann wird die Sinfonie Nr. 2 des ebenfalls ukrainischen Komponisten Yevhen Stankovych erklingen, ein sehr nationales, ausdrucksstarkes Werk aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. So verbinden wir ukrainische Musik, die ja bis heute hier sehr wenig bekannt ist, mit einem Werk Beethovens, der ja mit seinen Idealen auch für Völkerverständigung und Humanismus steht.
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