Dass die Oberbürgermeisterin Henriette Reker auch in diesem Jahr der Einladung zur Radkomm gefolgt ist und auch einige ihrer mit dem Radverkehr befassten Kollegen aus der Verwaltung vor Ort waren, zeigt, dass es in Köln längst nicht mehr so sehr um Grundsätzliches geht, sondern um Probleme und Fragen der Umsetzung. Abgesehen von den unabweislichen Problemen, die in und um Köln durch den immensen Autoverkehr verursacht werden, sind auch die zunehmende Vernetzung und das zum Teil politischere Auftreten der immer mehr werdenden Radfahrer etwa in Form gemeinsamer Veranstaltungen wie der Radkomm als Gründe für die sich verbessernde Lage zu nennen. Man war auch in den diesjährigen Workshops, Vorträgen und Diskussionen gedanklich einige Schritte weiter, als sich bloß etwas allgemeine Unterstützung und Gleichberechtigung zu erhoffen, auch wenn bei der grundlegenden Radverkehrs-Infrastruktur in Köln noch ein erheblicher Nachhol- und Nachbesserungsbedarf besteht.
In der Podiumsdiskussion sprach Reker mit Arndt Klocke (Landtagsabgeordneter, Die Grünen) und Rainer Kiel (Fahrradstadtplaner, Deine Freunde), beantwortete aber auch vorher gesammelte Fragen. „Ich bin davon überzeugt, dass es das Allerwichtigste ist, die Haltung zu schaffen, dass Köln zwar eine Autostadt ist, mit einem stadtprägenden Unternehmen [Ford], aber dass zu einer modernen, lebenswerten Stadt der Radverkehr inzwischen in einem ganz großen Maße dazugehört.“ Die Zahlen zeigten zunehmenden Radverkehr, auch zum Transport von Waren. „Und wenn wir uns besonders Köln angucken, wie die Stadt gebaut ist und wie dicht sie bewohnt ist, dann bietet sich das ja auch an. Ich bin übrigens auch selbst zutiefst davon überzeugt, dass die Stadt viel lebenswerter wird, wenn wir die vielen parkenden Fahrzeuge von der Straße holen.“
Sie appellierte an die Teilnehmer, sie in der Form zu unterstützen, weiterhin die Attraktivität des Radverkehrs in die Öffentlichkeit zu tragen. „Und das muss auch bei den Ladenlokalen ankommen.“ Auch Elektroautos seien für sie keine Lösung: „Auto ist Auto. Die Menschen sollen ja mit dem Auto fahren, mache ich ja auch, aber sie sollen nicht 20 Minuten nach einem Parkplatz suchen und damit die Stadt so verstopfen, dass sie restlos kollabiert.“ Um das zu schaffen, seien u.a. der Öffentliche Nahverkehr und die Bedingungen für die Fahrradfahrer zu verbessern.
„Es hat jetzt schon einen Zuwachs gegeben von etwa 1300 Abstellplätzen“, die etwa an S-Bahn-Stationen unbedingt vorhanden sein sollten, so Reker. Auf die Forderungen der Initiative „RingFrei“ angesprochen, sagte sie, sie halte es für „absolut notwendig“, dass da etwas passiere. „Wir müssen unsere Stadt einfach zukunftsfähig gestalten.“ Die im Mai vom Rat beschlossene Schaffung eines separaten Verkehrsdezernats hielt Reker gerade angesichts des prognostizierten Bevölkerungswachstums in Köln für unerlässlich. „Wenn ich mir allein den Sanierungsstau bei den Kölner Brücken angucke, hat er oder sie damit genug zu tun.“ Nun laufe über einen Personalberater die Stellenausschreibung.
Arndt Klocke wies ebenfalls darauf hin, dass das Dezernat Stadtentwicklung, Planen, Bauen und Verkehr überfordert sei. „Es ist häufig so, wenn man im Verkehrsbereich etwas auf die Reihe bekommen hat, sieht man, dass im Bereich Stadtentwicklung/Bau Sachen liegengeblieben sind.“ Auch in Düsseldorf beim Land gebe es noch „unglaublich viele Beharrungskräfte“, gegen die man sich gut vernetzen müsse. Dazu gehöre aber überraschenderweise nicht mehr der ADAC und sein Landesverband. „Der ADAC macht sich da auf den Weg. (…) Es gibt also sozusagen gute Segmente, und man muss das zusammenführen.“ Deshalb sei auch die Radkomm mit ihren Austauschmöglichkeiten für ihn ein großer Erfolg.
Während das Fahrrad vielerorts als ein wichtiges Verkehrsmittel der Zukunft erkannt wird, spielt bei vielen Weichenstellungen in Köln und Deutschland noch immer das Auto die Hauptrolle. Der Kölner Fahrradbeauftragte mit seinem Team hat nach Ansicht von Rainer Kiel noch nicht dazu geführt, dass der Radverkehr bei Planungen immer berücksichtigt werde. Arndt Klocke verwies auf den Bundesverkehrswegeplan 2030, der wohl nächstes Jahr in Kraft treten werde. „Im ganzen Plan – wobei der nicht nur verkehrt ist – kommt Radverkehr überhaupt nicht vor, weil er angeblich keine überregionale Bedeutung hat.“ Kiel fügte hinzu: „Die sprechen auch von 250 Milliarden Euro, die da ausgegeben werden sollen – rund um Köln werden alle Autobahnen ausgebaut, von sechs auf acht Spuren, von zwei auf sechs Spuren. Alles was wir hier im Kleinen versuchen an Verkehr umzulagern, wird da ad absurdum geführt, und die Pendler werden quasi nur aufgefordert, sich ins Auto zu setzen und in die Stadt reinzufahren.“ Für den Radverkehrsplan Innenstadt diskutiere man über eine Beruhigung der Luxemburger Straße, am anderen Ende werde die Straße als Ortsumgehung Hürth vierspurig ausgebaut.
Kiels Vorschlag, den Fahrradbeauftragten politisch mit einem eigenen Amt zu stärken, hielt Reker entgegen, dass es sich um eine „Querschnittsaufgabe“ handle. „Es kommt immer auf die Haltung an. Ich glaube nicht, dass wir für [jeden Bereich] ein Amt gründen müssen, das dann wieder mit den anderen Ämtern in den Clinch geht. Ich glaube ja sowieso, dass man in der Stadt von diesen festgefügten Zuständigkeiten weg muss.“ Sie nannte als vergleichbare Aufgabe die Barrierefreiheit. „Ich denke, man muss die Stadträume so in den Blick nehmen, dass man, wenn man sie gestaltet, den Fahrradverkehr gleich mit in den Blick nimmt. (…) Das ist ja, nach meiner Wahrnehmung, die größte Schwierigkeit in der Verwaltung, dass wir eine Riesen-Verwaltung haben, die Zuständigkeiten aber so manifestiert sind, dass die Ämter nacheinander arbeiten, manchmal parallel, aber schlimmstenfalls auch gegeneinander. Und da wird man natürlich nie fertig und kommt auch nicht zum Ergebnis. Daher: Viel mehr projektbezogene Arbeit, wie es auch bei Unternehmen ist, und dann den Fahrradverkehr direkt im Blick bei jeder Planung.“
Mit Blick auf die Mühlheimer Brücke meldete sich Christian Dörkes (Fachreferent Verkehr) zu Wort und erklärte, dass die Statik dort bei der Sanierung keine breiteren Radwege zulasse, wie sie die Grünen derzeit fordern. Die ersten Planungen zur Rheinbrücke in Godorf bezeichnete Arndt Klocke als „altbacken“, da Rad und Schiene trotz Kritik gar nicht berücksichtigt würden. Die seit längerem geplante Leverkusener Brücke ist für Reker ein typisches Beispiel für „nicht in die Zukunft gerichtete“ Planung. Nun falle das auf, es würden daher Wünsche laut, die anderen hätten aber Angst, dass durch Umplanungen eine massive Verzögerung eintrete. „Und dann sind diejenigen, die für die Verzögerung sorgen mit einer zukunftsgerichteten Planung, hinterher die Bösen. (…) Es muss auch zukunftsgerichteten Sachverstand nicht nur bei den Städten, sondern auch in den Ministerien und beim Straßenbetrieb da sein.“
Um den Verkehr in die Stadt hinein zu verringern, werden auch in Köln Radschnellwege geprüft, aber es gibt noch wenig Fortschritte. Rainer Kiel hielt ein „ganz anderes Tempo“ für erforderlich und fragte bei Klocke nach, inwiefern das Land solche Pläne mit Planungen und Mitteln unterstütze. „An diesen Stellschrauben sind wir gerade dran, finanziell hakt es gerade beim Finanzministerium, es gibt keine Bereitschaft da in dem Haus von Norbert Walter-Borjans überhaupt Mittel für den 2017er-Haushalt für Radschnellwege zur Verfügung zu stellen. Der Planer vom Radschnellweg Ruhr sagt uns, in allen Vorlagen, die ihm jetzt zugegangen sind, sind da quasi keine Mittel drin.“ Die Umsetzung der fünf bereits vorgesehenen Radschnellwege würden die Kommunen aber nicht mal ansatzweise ohne Landes- und Bundesmittel leisten können, so Klocke, und ebenso fehle es an Planungsreserven.
Radschnellwege und Radstraßen sollen aber noch vor der Sommerpause gemäß der Koalitionsvereinbarung im Straßen- und Wegegesetz gleichberechtigt mit Landes- und Bundesstraßen aufgenommen werden: „Es ist für die Planung und Finanzierung von Radschnellwegen und Radstraßen eine ganz wichtige Entscheidung.“ Allerdings sei kaum vorstellbar, dass der mit den maroden Straßenbrücken belastete Landesbetrieb Straßen.NRW die Planung übernehme: „Die sind leider in den letzten Jahren personell deutlich ausgeblutet.“ Generell müsse man in nächster Zeit die Planungsbetriebe „fit machen, dass sie auch Radplanung mitdenken“. Dazu bedürfe es erst einmal einer angemessenen Finanzierung. Henriette Reker sah das genauso: „Wir können das immer wieder anmahnen, wir können auch mit dem Landesbetrieb Straßen über solche Dinge sprechen, aber wichtig ist natürlich, dass auch die Mittel dafür zur Verfügung stehen.“
Was Köln betreffe, setze Reker sich für Finanzmittel ein und strebe eine baldige Verkehrsberuhigung der Innenstadt an. „Die Planungen liegen vor, es wird dazu im Herbst dazu auch Ratsbeschlüsse geben.“ Der Fokus der Verwaltung liege bei den fünf Achsen Nord-Süd-Fahrt, Ebertplatz bis Volksgarten, südliche Ost-West-Achse, Rheinufer-, Zülpicher und Gladbacher Straße. „Ich glaube, wenn man diese Achsen angeht, ist man in dem Radverkehrskonzept schon ein ganz schönes Stück weiter.“ Man müsse dabei auch daran denken, „dass wir den Menschen die Stadt zurückgeben, wenn wir sie ein Stück weit von dem Autokollaps befreien.“ Daher hatte sie auch eine schnelle Antwort auf die Frage, mit welchem „Mobilitätsprojekt“ man ihre Amtszeit am Ende verbinden dürfe: „Das wird der Radverkehr sein. Auch, und das sage ich ganz ehrlich, weil das am günstigsten ist.“
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