Einer der Faktoren, die den Klimaschutz so kompliziert machen, ist, dass zur Lösung der Krise nicht nur Politik und Wirtschaft gefordert sind, sondern auch jeder Einzelne. Unbestritten ist, dass der Konsum der breiten Massen einen bedeutenden Einfluss ausübt: Laut den Zahlen des Bundesumweltministeriums waren Lebensmittel- sowie sonstiger Konsum bereits 2012 für 42 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Ohne eine deutliche Neuausrichtung des Konsumverhaltens und der Lebensführung wird es daher nicht gelingen, die Emissionen gemäß den Zielen von Bundesregierung und Pariser Abkommen zu senken.
Die gute Nachricht ist, dass diese Botschaft langsam aber stetig im Bewusstsein vieler Konsumenten anzukommen scheint. Dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft zufolge wuchs der Markt für Bio-Lebensmittel im vergangenen Jahr um 10 Prozent – der Markt für fair gehandelte Waren im gleichen Zeitraum sogar um 14 Prozent, was einer Verdoppelung in den vergangenen vier Jahren entspricht. Mit der gestiegenen Nachfrage entwickeln sich auch im Handel neue Strukturen, zum Beispiel in Form von Handelsmessen wie der „Fairgoods“ und der „Veggienale“, die im vergangenen November zum zweiten Mal in Köln stattfanden. In diesem Jahr hatten sie etwa 60 Aussteller versammelt, deren Bandbreite von Lebensmitteln über Kosmetika und Mode, bis hin zu Ökostromanbietern und nachhaltigen Finanzdienstleistern reichte. Veranstaltet werden beide Messen von der Agentur Ecoventa, deren Geschäftsführer Daniel Sechert nicht nur die üblichen Verdächtigen aus dem Alternativen-Millieu als Zielpublikum im Blick hat. „Das größte Potential steckt eben in der Gruppe der Otto-Normalverbraucher“, ist er überzeugt. Um den angestrebten hohen Standard zu gewährleisten, müssen alle Aussteller die für ihre Sparte einschlägigen Zertifikate und Gütesiegel vorweisen können – im Zweifelsfall lassen sich Sechert und seine Mitarbeiter Proben schicken, um diese selbst unter die Lupe zu nehmen.
Auch große Einzelhandelsketten sind längst auf den Zug aufgesprungen. So arbeitetete Dr. Brigitte Jantz vom Kölner Institut für Ökologische Forschung und Bildung unlängst für ein gemeinsames Projekt mit der Handelskette Rewe zusammen. „Der Wunsch nach Nachhaltigkeit ist nicht nur auf der Kundenseite vorhanden, sondern auch bei den Händlern“, so Jantz. „Wo wir vor ein paar Jahren noch Überzeugungsarbeit leisten mussten, ist inzwischen ein Konsens erreicht.“ Im Rahmen des Projekts ging Rewe dazu über die Herkunft angebotener Waren deutlicher kenntlich zu machen, verstärkt saisonale Produkte anzubieten und den Kunden „Einkaufsberater“ anzubieten.
Doch diese ermutigenden Entwicklungen scheinen bisher kaum einen Effekt auf den CO2-Ausstoß zu haben. So rückt denn Sechert die Zahlen auch wieder in ein nüchterneres Licht: “Die Zuwächse der letzten Jahre waren wirklich erstaunlich, das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nachhaltige Konsumgüter immer noch eine Nische darstellen.” Der Anteil der Bio-Lebensmittel am gesamten Lebensmittelumsatz etwa liegt immer noch im niedrigen einstelligen Bereich – von 4,1 Prozent im Jahr 2013 stieg er auf 5,2 Prozent im Jahr 2016.
Auch arbeiten viele Konsumenten trotz guten Willens unbeabsichtigt selbst daran, ihre Bemühungen verpuffen zu lassen. „Der Rebound-Effekt ist nicht zu unterschätzen“, erklärt Jantz. „Viele, die an der einen Stelle etwas einsparen, haben das Gefühl, dass sie dann an anderer Stelle eben mehr zuschlagen können. Statt einer Flugreise fahren sie dann eben mehrmals im Jahr mit dem Auto in den Urlaub.“ Auch die Einsparung durch immer energieeffizientere Geräte werde aufgefressen, wenn jeder Einzelne immer mehr davon besäße – analog zum Verkehr, bei dem die Einsparung durch sparsamere Motoren durch die Gesamtzunahme an Fahrzeugen wieder ausgeglichen wird.
Auch die Infrastruktur ist in noch längst nicht überall in der Lage, eine erhöhte Nachfrage zu bedienen. „In Berlin, wo wir mit unserem Unternehmen sitzen, ist man ja verwöhnt, hier macht jede Woche ein neuer Bio-, oder verpackungsfreier Supermarkt auf. Die sind in weiten Teilen des Landes aber noch eher Mangelware“, sagt Sechert. Und auch wenn die Vorraussetzungen da wären – allein mit dem Einkaufswagen lässt sich die Welt nicht retten, weiß auch Jantz. „Der Lebensmittelkonsum allein ist für 14 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Diesen Bereich kann man beeinflussen. Was Industrie und Infrastruktur angeht, ist die Politik gefragt.“
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