Wenn wir uns heute auf den Barock zurückbesinnen, wie beim Fest für Alte Musik, stoßen wir immer schnell darauf, dass der Barock sich ebenfalls zurückbesann und gern Überlieferungen aus dem Altertum verarbeitete. Das ziemlich vergessene englische Maskenspiel „Cupid and Death“ – die befreundeten Komponisten Matthew Locke und Christopher Gibbons schrieben 1653 Musik in italienischer Manier zum Libretto von John Shirley – ist so ein Werk, basiert es doch im Wesentlichen auf einer Fabel von Äsop, in der Amor und der Tod versehentlich ihre Pfeile vertauschen. In der Trinitatiskirche, wo eine szenische Aufführung ohne Masken das Fest am Samstag eröffnete, blieb von der musikalischen Tragikomödie durch Streichung gesprochener Dialoge quasi eine Oper übrig, die von einem zwar gesundheitlich angeschlagenen, aber starken Ensemble getragen wurde – und von einer Übertragung der Handlung in unsere Zeit.
Regisseur Adrian Schvarzstein, der Commedia dell’arte in Italien studierte, holte das Stück gehobener Unterhaltung in die ausverkaufte Trinitatiskirche, indem er eine Hochzeitsgemeinde (Amor als Hochzeitsmanagerin: Sopranistin Maria Jonas) und eine Trauergemeinde (begleitet vom Tod: Tänzerin Jūrate Širvyte-Rukštelė tanzt Barock) einführte, die sich in der Kirche terminlich überlagern und von der feiernden Großfamilie des orientalischen Bräutigams überrumpelt werden, gar nicht zu reden von einem Elvis-Imitator. Ein musikalisches Durcheinander aus Liebe, Leben und Tod also, in dem das Gegen- und Nebeneinander nach und nach, über Liebe und gemeinsames Leid doch noch zusammenfindet. Im Detail war das nicht einfach zu verstehen – schon allein von der Kirchenakustik her –, aber im Ganzen deutlich genug vermittelt. Wer weit hinten saß, dürfte Probleme gehabt haben, manches Schauspielerische im Chor der Kirche mitzubekommen, auch wenn der Mittelgang mit bespielt wurde.
Die aus England angereiste Dame Emma Kirkby, seit Jahrzehnten ein Star der Alten Musik, spielte als die Witwe und als personifizierte Mutter Natur emotionale Extreme und wusste zu berühren; gesanglich vermochte sie – die durchaus mal eine halbe Stunde tot spielen musste – in relativ kurzen Rezitativen mit ihrem nuancierten, kraftvollen Ausdruck und souveränen Umgang mit der Form die bis dahin unterhaltsame Veranstaltung noch deutlich anzuheben. Trauer war ein wichtiges Motiv, das ebenso auf das Festivalthema „Krieg und Frieden“ zu beziehen war wie die Einbindung des syrischen Flüchtlingschors „Sonne der Aramäer“.
Die für die hervorragende Barockmusik verpflichtete Neue Hofkapelle Graz durfte gelegentlich aus der Rolle fallen und zusammen mit zwei Spielern aus der Region (Oud: Saad Mahmood Jawad, Djose: Bassem Hawar) an den authentischen alten Instrumenten traditionelle arabische und sephardische Musik spielen, zu der nicht nur die Syrer tanzten und sangen, sondern auch immer wieder „Amor“ Maria Jonas in sephardischer Sprache. In weiteren Gesangsrollen gab es Bethany Seymour (Braut), Christos Pelekanos (Pastor), Lothar Blum (Küster), die Brautjungfern Fida Soubaiti-El-Ali und Rita William und in Nebenrollen Festival-Leiter Thomas Höft (Elvis) und (gänzlich stumm) Adrian Schvarzstein als Meßner. Man merkte, dass alle aus dem Tiefsten schöpften für diese einmalige Aufführung, die für alle etwas Besonderes war. Thomas Höft hielt im Foyer noch eine (Dankes-)Rede, in der er von der „friedensstiftenden Macht von Kunst“ sprach, die er sich von den Veranstaltungen erhoffe. Einen besseren Fest-Auftakt hätte man sich schwerlich wünschen können, weil es gelungen war, mit intakter alter Musik und weitgehend im ursprünglichen Geiste eine unmittelbar relevante Veranstaltung herzustellen. Man hätte sicher genauso gern das Original gesehen, aber auch ein Fest für Alte Musik ist keine Zeitreise, sondern existiert in der krisengeschüttelten Gegenwart.
Am Sonntagabend, in den akustisch gut geeigneten Balloni-Hallen, war das fünfköpfige Ensemble 1700 ganz für den Frieden zuständig und brachte mit dem Programm „What a Peaceful Day – Grüße aus Arkadien“ vor allem im Genre der „Pastoralen“ zu findende, an Paradiesvorstellungen anknüpfende barocke Träume und Sehnsüchte zu Gehör, die oft im Widerspruch zum damaligen Lebensalltag standen. Das lenkte die Aufmerksamkeit auf die Naturbilder und Seelenlagen in den langsamen Sätzen von Vivaldi und Händel, wie etwa das Largo in Händels zum Einstieg gewählter Sonate HWV 393 in g-Moll, aber auch auf die Lebens- und Spielfreude in den schnellen Sätzen, darunter die beiden raffinierten Allegros in Francesco Mancinis Concerto VI in d-Moll, das wie sein neapolitanischer Komponist mehr Bekanntheit vertragen könnte.
Dorothee Oberlinger, die unter anderem in Köln Blockflöte studierte und am Salzburger Mozarteum das Institut für Alte Musik leitet, hat das Ensemble 2003 gegründet und mit ihm und anderen Projekten Preise wie den Echo für ihre CD-Einspielungen erhalten, was nicht zuletzt Georg Philipp Telemann erfreut hätte. Sein auch an diesem Abend gespieltes Doppelkonzert B-Dur TWV 40:111, aber auch viele Kompositionen von anderen, bekommt man ohne eine hochbegabte Flötistin (so) nicht zu Ohren, und so gab es das eine oder andere zu entdecken, etwa Marco Uccellinis Version der „Bergamasca“, eines italienischen Volkstanzes. Dmitry Sinkovsky, der sehr bestimmt und akzentfreudig die erste Violine spielte, trat mehrfach als Countertenor ins Zentrum und sang Albinonis wunderschöne Arie „Pianta bella“ sowie „Nel dolce tempo“ und „Venti turbini“ aus dem Händel-Repertoire und „So da te mio dolce amore“ von Vivaldi. Besonders dadurch erhielt der stimmungsvolle Abend, auch dank der abgedruckten Übersetzungen, inhaltlich seinen rechten Fokus.
Das Ensemble, das erstklassig spielte, schenkte dem zufriedenen Publikum drei Zugaben, darunter das Largo und Allegro aus einem Vivaldi-Kammerkonzert und ein zweites Mal „Venti turbini“. Wie stark die Komponisten des Barock die Konventionen und Vorbilder beachteten und die Gerüste immer wieder mit Leben füllten, wie genau sie die Möglichkeiten der Instrumente kannten und sie unter oft restloser Beanspruchung der musikalischen Fertigkeiten der Spieler mit- und gegeneinander erklingen ließen, das macht heute, wo klanglich viel mehr möglich sind, nicht weniger Freude als damals. Dafür braucht man allerdings gut eingespielte (und im Idealfall historisch informierte), professionelle Musiker wie das Ensemble 1700, die diese Werke verstehen und vom ziemlich dicht bedruckten Notenblatt ablösen.
Kölner Fest für Alte Musik | 10.-25.3. | www.zamus.de
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