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Zwangloser Schutz in Schweden
Foto: Kovop58 / Adobe Stock

Freiwilligkeit statt Zwang

29. April 2020

Unorthodoxes Krisenmanagement – Europa-Vorbild: Schweden

Treffe ich mich noch mit Freund:innen auf ein Bier in der Kneipe? Trainiere ich im Fitnessstudio? Diese Fragen stellen sich in der Corona-Pandemie viele Bürger:innen in Schweden. Denn die rot-grüne Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Stefan Löfven verzichtet auf umfangreiche Zwangsmaßnahmen. Lediglich zwei Verbote bestehen: keine Versammlungen von mehr als 49 Personen und keine Besuche von Pflege- und Altenheimen.

Während andere Staaten das öffentliche Leben heruntergefahren haben, verzichtet Stockholm bisher auf Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen. Kindergärten, Schulen (bis Klassen 9), Schwimmbäder, Bibliotheken öffnen weiter ihre Türen. Kinovorstellungen bleiben auf bis zu 49 Besucher:innen erlaubt. Betrieb herrscht auch in Cafés und Restaurants – allerdings mit Abstandshaltung, auf die Betreiber:innnen und Besucher:innen eigenverantwortlich achten.

Das entspricht der schwedischen Marschroute: Freiwilligkeit statt Zwang. Ministerpräsident Stefan Löfven appellierte zwar in seiner „Rede an die Nation“ an den Zusammenhalt und einen fürsorglichen Umgang mit Älteren und Vorerkrankten. Weitreichende Einschränkungen verkündete er jedoch nicht. Gesellschaftlicher Druck besteht trotzdem. Dieser drückt sich etwa im Wort „Smittskam“ aus. Angelehnt an den ebenso schwedischen Begriff „Flygskam“ (zu Deutsch: Flugscham) bezeichnet er die Scham, durch fahrlässiges Verhalten andere zu infizieren.

Anders Tegnell, der „Staatsepidemiologe“ Schwedens, informiert regelmäßig die Bevölkerung. Auf dieser Grundlage sollen die Bürger:innen selbst entscheiden. Trotzdem verfolge das Land die gleiche Strategie wie alle anderen betroffenen Staaten, sagt Tegnell: Die Ausbreitung des Virus soll verlangsamt werden. Naiv sei diese Strategie nicht, betont er: Gesellschaftliche Belastungen sollten möglichst gering gehalten werden.

Denn welche negativen sozialen Folgen der „Lockdown“ in Europa und anderen Ländern nach sich ziehen wird, weiß aktuell niemand: Wie hoch ist die Dunkelziffer häuslicher Gewalt? Wie ergeht es Kindern von schlecht entlohnten oder arbeitslosen Familien, wenn sie über Wochen auf engstem Raum ausharren müssen? Anders als von Blaulicht-Einsätzen oder Militär-Transporten in Bergamo gibt es von diesen Katastrophen keine konkreten Darstellungen.

Zuletzt wuchs im Ausland die Skepsis gegenüber Stockholms Sonderweg. Doch dort gehört es zur Tradition, während einer Krise den Empfehlungen der Expert:innen zu folgen. Tegnell, den heimische Boulevardblätter nun zum Nationalidol verklären, hat bereits Erfahrungen im Kampf gegen die Schweinegrippe und Ebola gesammelt. Auf Pressekonferenzen tritt er betont gelassen auf. Besonnen reagiert Tegnell auch auf die jüngsten Forderungen nach Ausgangsbeschränkungen. „Menschen zu Hause einzusperren wird auf lange Sicht nicht funktionieren. Früher oder später werden die Leute sowieso rausgehen“, sagt der Stratege.

Über das Osterwochenende meldeten die Behörden jedoch schlechte Nachrichten: Fast 11.000 Schweden haben sich mittlerweile mit dem Virus infiziert, 919 Menschen starben. Ministerpräsident Stefan Löfven schlug daher ein Notstandsgesetz vor. Dieses erlaubt eine schnelle Schließung von öffentlichen Einrichtungen sowie des Nahverkehrs, falls die Infektionskurve in den nächsten Tagen weiter ansteigen sollte. Wirklich gewappnet ist Schweden dafür nicht. In den Krankenhäusern ging man keinen Sonderweg und sparte in den letzten Jahren, wie alle europäischen Nachbarn, das Gesundheitssystem kaputt.


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Benjamin Trilling

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