Jeden Abend um 21 Uhr wird geklatscht. Aus Respekt und Dankbarkeit für Ärzte und Pfleger, die in der Corona-Krise mit zu wenig von allem arbeiten: Atemmasken, Schutzbekleidung und -brillen – alles Mangelware. Der Applaus ist eine schöne und doch wohlfeile Geste. Denn seit Jahren wissen und akzeptieren wir, dass die Personaldecke in den Krankenhäusern nicht dünn, sondern löchrig ist, dass Pfleger auch ohne Corona in Unterbesetzung und über der Belastungsgrenze arbeiten. Seit rund 30 Jahren interessiert es kaum jemanden, dass an die Stelle einer an den Bedürfnissen der Patienten orientierten Gesundheitsversorgung, eine an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien ausgerichtete Gesundheitsökonomie getreten ist. Nicht mehr die bestmögliche Versorgung der Patienten ist oberstes Ziel, sondern die betriebswirtschaftlich optimale Behandlung.
Seit 1991 ist die Zahl der Krankenhäuser in der Bundesrepublik um ein Fünftel gesunken, die der Betten gar um 25 Prozent auf rund 168.000. Dabei ist der Bedarf in einer alternden Gesellschaft steigend. Ferner werden immer mehr Krankenhäuser in privatwirtschaftlicher Trägerschaft geführt. Zu Beginn der 1990er-Jahre lag der Anteil der Privatkliniken bei 15 Prozent. Zuletzt stieg der Anteil auf über ein Drittel an. Das Privatisierungsniveau in der Bundesrepublik liegt damit nicht nur im europäischen Vergleich an der Spitze, nein auch die USA, das Mutterland der Privatkliniken, wird noch übertroffen. Und die Entwicklung ist nicht abgeschlossen, wenn nicht rasch umgesteuert wird. Denn immer noch zwingen klamme Kassen Städte und Landkreise zum Verkauf ihrer Krankenhäuser an private Betreiber, die nicht selten Aktienunternehmen sind.
Seit Jahrzehnten propagieren Marktapologeten die Privatisierung der Gesundheitssysteme. Dabei ist augenscheinlich, dass das für funktionierende Märkte wesentliche Prinzip der Konsumentenfreiheit für Patienten nicht greift. Kranke sind – ganz schlicht – keine Kunden. Im Gegenteil: Statt Marktteilnehmer zu sein, sind sie dem Markt ausgeliefert. Normalerweise nimmt man Güter und Dienstleistungen freiwillig in Anspruch, wenn man sie sich leisten kann. Gesundheitsleistungen hingegen nimmt niemand freiwillig in Anspruch – egal wie preiswert oder effizient eine Behandlung sein mag: Niemand will krank sein. Bei den meisten Gütern und Dienstleistungen ist es möglich, den Gürtel enger zu schnallen. Ein Schwerkranker kann aber nicht auf sein Medikament oder seine Behandlung verzichten. Eine Reise kann man sich verkneifen, wenn es gerade knapp ist, aber eine Krankheit kann ich nicht stornieren, nur weil sie finanziell gerade nicht passt.
Die Covid-19-Pandemie zeigt schon nach wenigen Wochen, an welchen Stellschrauben in unserem Gesundheitssystem gezogen werden muss. Zum einen muss neben der Ausstattung und Bevorratung von wichtigem Material und Medikamenten, vor allem die personelle Situation in den Krankenhäusern und Kliniken dringend verbessert werden. Die Zahl der Auszubildenden und die Vergütungen müssen erhöht, Arbeitsabläufe verbessert werden. Hierzu gehört auch eine veränderte Arbeitskultur, die mehr Wert auf Teamarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen legt. Zum anderen müssen die Krankenkassen grundsätzlich Personal für eine mögliche hohe Auslastung der Krankenhäuser von 90 Prozent finanzieren – auch wenn die Krankenhäuser nur zu 75 Prozent ausgelastet sind. Militär oder Feuerwehr werden ja auch nicht nach ihrer Inanspruchnahme finanziert. Warum ausgerechnet Krankenhäuser?
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