Sie haben durchaus etwas zu sagen, die Damen in Heinrich Bölls letztem Roman „Frauen vor Flusslandschaft“. Nur dürfen sie nichts ausplaudern, jedenfalls nicht laut – das fordern zumindest ihre Männer. Die sind bei der Inszenierung von Jens Groß im Schauspielhaus Bad Godesberg zwar nicht vorhanden – das anderthalbstündige Stück ist mit fünf Schauspielerinnen besetzt –, sind aber dennoch omnipräsent, was sowohl Stärke als auch Schwäche dieser Bearbeitung von John von Düffel und Nadja Groß ist. Ersteres, weil die Verschiebung des Fokus Bölls Gesellschaftskritik verstärkt; und letzteres, weil die Leerstellen weder gefüllt noch verarbeitet werden und ohne Kenntnis der entsprechenden Figuren das Verständnis der Handlung massiv behindern. Da können die Damen des Ensembles noch so gut spielen und darüber klagen, dass Altnazis und der Geldadel und ihre Gatten (in manchen Fällen sind die Männer ein und dasselbe) sie zum Schweigen bringen wollen und sie bei Bedarf einfach in ein Sanatorium verbannen – ohne die physische Präsenz der Antagonisten sind viele Sätze nur Schall und Rauch.
Dabei lässt Schauspieldirektor Jens Groß, der diesmal selbst Regie führt, den fünf Damen (Ursula Grossenbacher, die als abgeschobene Politikergattin Elisabeth Blaukrämer der Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist, sowie Sophie Basse, Lydia Stäubli, Birte Schrein und Trang Dông) durchaus Raum, um ihre Schicksale auszuspielen und dem männerdominierten, korrupten System entgegenzutreten – doch angesichts des komplexen Geflechts aus Schattenmännern fehlt häufig der Kontext, um die Bedrohung greifbar zu machen. Dabei hilft auch nicht absurdes „Slapstick“-Gehüpfe und -Getanze, ebenso wenig wie das aufgekratzt-zwanghafte Verhalten der Frau Dr. Dumpler (Sophie Basse), dessen Ursprung erst sehr spät aufgedeckt wird. Die Kritik des Stücks bleibt somit über weite Strecken abstrakt, ist nicht greifbar, zu unkonkret. Erst im letzten Drittel kommt die Inszenierung in Fahrt, während vor allem Elisabeth Blaukrämer und Dr. Dumpler ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Erstere tobt, wütet, schreit, weil sie die ganzen Hinterzimmer-Machenschaften kennt und zu Recht Angst hat vor dem, was auf dem politischen Parkett geschieht. „Doch bei all dem Nebel weiß ich eins mit Sicherheit“, sagt sie: „Die Nazis sind wieder da.“ Eine eindrückliche und erschreckend aktuelle Szene, auch wenn man sich fragen muss, ob ein Suizid angesichts dieser Erkenntnis der richtige Ausweg ist. Leider haben auch die anderen Frauen keine Alternative parat. Ihr Versuch, „den Laden zu übernehmen“ und mit all dem Klüngel aufzuräumen, ist mit Blick auf Italien und Frankreich nämlich auch nicht so ganz passend. Die Gesellschaftskritik, das wird spätestens da klar, verharrt in den 80ern, was sich in alten Videoschnipseln von Politikerinnen wie Waltraud Schoppe und Petra Kelly zeigt – und von der jungen Idealistin Angela Merkel. Von ihrer Wandlung zum Machtmenschen wird dagegen nicht gesprochen, ebenso wenig von den mächtigen Strippenzieherinnen wie Liz Mohn oder Friede Springer. Somit wird der Inszenierung ein Aktualitätsbezug entrissen, den sie eigentlich dringend braucht. Schade.
Frauen vor Flusslandschaft | Fr 5.7. 19.30 Uhr | Schauspiel Bad Godesberg | 0228 77 80 08
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Diskussion ohne Ende
„216 Millionen“ am Schauspielhaus Bad Godesberg – Auftritt 10/24
Making Of
Nö Theater widmet sich Molière – Theater am Rhein 07/22
Da klappert keine Mühle mehr
Martin Nimz inszeniert „Kabale und Liebe“ in Bonn – Theater am Rhein 12/15
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Wenn das Leben zur Ware wird
„Hysterikon“ an der Arturo Schauspielschule – Prolog 10/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Getanzter Privilegiencheck
Flies&Tales zeigen „Criminal Pleasure“ am Orangerie Theater – Prolog 09/24
Die Erfindung der Wahrheit
NN Theater Köln mit „Peer Gynt“ im Friedenspark – Auftritt 09/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
„Wir wollen Rituale kreieren“
Regisseur Daniel Schüßler über „Save the planet – kill yourself“ in Köln – Premiere 09/24
Der Witz und das Unheimliche
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Prolog 08/24
„Draußen geht viel mehr als man denkt“
Schauspielerin Irene Schwarz über „Peer Gynt“ beim NN Theater Freiluftfestival – Premiere 08/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24