Freihändig und assoziativ begleitet Mascha Schilinskis großes Drama „In die Sonne schauen“ (Cinenova, Filmpalette, OFF Broadway, Rex) das junge Leben seiner vier Figuren Alma (1910er-Jahre), Erika (1940er), Angelika (1980er) und Nelly (2020er). Ihr akutes Erleben, der kindliche Blick auf den Alltag in Spiel und Tagewerk, im Beiwohnen von Gewalt und Tod, von Glück, Trauer und Erwachen, von Verirrung und Sehnsucht: „Zu dumm, dass man nie weiß, wenn man am glücklichsten ist“. Jedes Mädchen ist ihrem Dasein ausgesetzt – und zugleich dem Erbe der Ahnen. Dabei hinterlässt jedes Mädchen ihrerseits ein Erbe. Geistiges Erbe. Geist. Ein Foto. Erinnerung an Geschehnisse, die man nie erlebt hat. Dinge, die wieder passieren. Davor. Danach. Scheunenparty, Gartenfest. Einsamkeit, sexuelles Erwachen, Todessehnsucht. Ein Drama wie ein Rausch, es zieht uns mit, vor, zurück und wieder vor. Zu Alma, zu Erika, zu Angelika und Nelly. Und immer wieder: der Blick der Mädchen und Frauen in die Kamera. Meist wirkt ihr Blick traurig dabei, verloren, und jedes Mal trifft er ins Herz. Gänsehautmomente in magisch verwobenen Momentaufnahmen. Schilinski entfacht einen 149 Minuten währenden audiovisuellen Sog, mal zärtlich, mal grausam und immerzu sinnlich. Auf die Frage nach ihrer Vision für das Kino in Zukunft sagt die Filmemacherin: „Da ist noch so viel zu erkunden und zu entdecken.“ Schilinski ist eine Entdeckerin.
2024 betrug die Scheidungsrate in Deutschland knapp 36 Prozent, in Großbritannien 42 Prozent und in den USA sogar über 51 Prozent. Keine gute Prognose also für Theo (Benedict Cumberbatch) und Ivy (Olivia Colman), die sich in Ivys Küche kennenlernen und danach spontan entschließen, gemeinsam nach Kalifornien auszuwandern, um dort ein glücklicheres, freieres Leben zu führen. Das geht auch zehn Jahre gut. Dann kracht es: Theos Karriere bricht zusammen, Ivys hebt ab. Eine schwarzhumorige Erinnerung daran, dass frühe Romantik zu brodelndem Groll und sadistischer Gewalt führen kann, präsentierte uns Danny DeVito schon vor 30 Jahren, als er Warren Adlers Roman „Der Rosenkrieg“ mit Kathleen Turner und Michael Douglas in den Hauptrollen verfilmte. Die Kronleuchter-Szene dürfte allen, die den Film damals gesehen haben, in Erinnerung geblieben sein. Die Neuverfilmung „Die Rosenschlacht“ (Cinedom, Cineplex, Metropolis, Residenz, Rex, UCI) sprüht vom ersten bis zum letzten Dialog vor Wortwitz. In ihren Wortgefechten werfen sich Cumberbatch und Colman Pingpong-artig geniale Sätze zu. Die Erwiderungen kommen ebenso schnell und schneidig zurückgeschossen. Sie sind witzig, bissig, geistreich, schwarzhumorig und „very british“ und man wünscht sich, selbst auch nur halb so schlagfertig zu sein. Der Film hält 100 Minuten lang sein komödiantisches Tempo auf hohem Niveau. Jay Roach, der Mann, der uns u.a. die Austin Powers Parodien bescherte, kann einfach Komödie. Selbst mit Torte-ins-Gesicht-Szenen rutscht „Die Rosenschlacht“ nicht in den Slapstick ab. Dafür sorgt auch das Drehbuch des Australiers Tony McNamara („Poor Things“). Wir haben uns lange nicht mehr so gut im Kino unterhalten gefühlt.
Außerdem neu in den Kinos: der schwarzhumorige Thriller „Wenn der Herbst naht“ (Cinenova, Filmpalette, Rex, Weisshaus) von François Ozon, das Pulp-Drama „Caught Stealing“ (Cinedom, Lichtspiele Kalk, Metropolis, UCI) von Darren Aronofsky, die Aussteiger-Doku „Ausgsting.“ von Julian Wittmann, die Actionkomödie „Bride Hard“ (Cinedom, Cineplex, UCI) von Simon West und das Animationssequel „Die Gangster Gang 2“ (Cinedom, Cineplex, Metropolis, Rex, UCI) von Pierre Perifel, Juan Pablo Sans.
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