
Transit
Deutschland, Frankreich 2018, Laufzeit: 101 Min., FSK 12
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese
>> www.transit-der-film.de
Flüchtlings- und Liebesdrama mit einem großartigen Kunstgriff
Zwischen den Orten
„Transit“ von Christian Petzold
Interview mit Hauptdarsteller Franz Rogowski
Paris, Anfang der 1940er Jahre: Viele sind aus Deutschland geflohen, weil sie glaubten, hier in Sicherheit vor den Nazis zu sein. Doch nun ist auch Nordfrankreich von den Deutschen besetzt, und ein Ausweg führt nur noch nach Süden. Wie so viele will sich auch Georg (Franz Rogowski) über die Hafenstadt nach Amerika absetzen. Ein letzter Botengang für einen Freund führt ihn zu dem Schriftsteller Weidel, doch der hat sich in seiner Furcht vor den Nazis in seinem Hotelzimmer umgebracht. Georg steckt dessen Reiseunterlagen und sein letztes Manuskript ein und macht sich auf den Weg nach Marseille. Dort trifft er andere Flüchtige, die wie er zwischen einem billigen Hotel und einem Straßencafé immer wieder um die Botschaft kreisen und auf ihre Unterlagen für die Reise nach Übersee hoffen. Georg kann mit den Papieren in Weidels Rolle schlupfen und auf eine baldige Schiffspassage hoffen. Dann kommt ihm zu Ohren, dass auch Weidels Frau Marie (Paula Beer) in Marseille ist, zusammen mit ihrem Geliebten, dem Arzt Richard. Während sie auf ihre Papiere und ihre Abreise warten, kreisen diese Menschen umeinander wie in einem Transitbereich eines modernen Flughafens. Und tatsächlich ist „Transit“ im Marseille der Gegenwart angesiedelt.
Lange Zeit ging es in den Filmen von Christian Petzold („Die innere Sicherheit“, „Wolfsburg“, „Gespenster“, „Yella“, „Jerichow“) darum, in den zwischenmenschlichen Beziehungen aktuelle gesellschaftliche Zustände aufzuspüren. Mit „Barbara“ machte er dann eine Reise in die jüngere deutsche Vergangenheit, in die DDR der frühen 80er Jahre. Mit „Phoenix“ ging er noch weiter in der Geschichte zurück – zur deutschen Stunde Null – ins Berlin des Jahres 1945. Mit „Transit“, seinem Wettbewerbsbeitrag zur Berlinale 2018, ist er in der Zeit der Naziherrschaft angekommen. Aber der Ansatz für seine Adaption von Anna Seghers gleichnamigem, autobiografisch gefärbten Roman (veröffentlicht 1944) ist anders als bei so vielen deutschen Filmemachern, die sich dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte verschreiben und dabei auf dramatisierte Rekonstruktion abzielen.
Petzolds Kunstgriff, die Geschichte in der heutigen Gegenwart zu filmen, aber in der Vergangenheit anzusiedeln, klingt sperrig. Da laufen also die Protagonisten in ihren Vintage-Klamotten in alten Hotels und Cafés herum und reden von Nazis und von Flucht, während draußen der neue Citroen um die Ecke biegt. Ein bisschen wirkt dass, als würden die Figuren mit einer Aura der Vergangenheit durch die Gegenwart wandeln. Beim Zuschauer löst das eine ungewohnte Aufmerksamkeit aus. Irritation ist da aber nicht, denn die Brüche sind sanft: Georg könnte mit seinen Hosen, Jacketts und Lederschuhen auch heute im Straßenbild auftauchen, die Hotels und Cafés in Frankreich, die immer noch aussehen wie vor einem halben Jahrhundert, kennt jeder aus dem Urlaub. Im Gegensatz zu den hermetischen Rekonstruktionen aufwändiger Geschichtsfilme entfaltet „Transit“ eine zeitliche Offenheit, die bis in unsere Gegenwart reicht. Auch im Hier und Jetzt kennt man die Fluchtlinien des Films, sieht Flüchtende im Wartezustand.
Wie bereits in „Phoenix“ spiegeln sich in „Transit“ nicht nur Gegenwart und Geschichte, sondern auch Filmgeschichte. Auch hier ist der Film Noir, jenes düstere, US-amerikanische Gangstergenre der 40er und 50er Jahre mit seinen starken Stilisierungen, als Einfluss wieder spürbar: die Flucht, die Verwechslung, die Fragen nach Moral und nicht zuletzt die Frau, die den Mann – ganz einsamer Wolf – durch seine Begierde von seinem Weg abbringt (entsprechend passiv ist leider auch die Rolle von Marie ausgefallen, die mehr Symbol als Figur ist, mehr Geist als Mensch). Nicht nur der deutsche Migrant Fritz Lang hat den Film Noir seinerzeit als Vehikel für antifaschistische Thriller verwendet. Natürlich erinnert „Transit“ im Kern der Geschichte auch an „Casablanca“. Christian Petzold trägt das Thema mit seinem eleganten Kunstgriff in die Gegenwart.

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