Hunger (2008)
Großbritannien, Irland 2008, Laufzeit: 91 Min., FSK 16
Regie: Steve McQueen
Darsteller: Liam Cunningham, Michael Fassbender, Stuart Graham
Im nordirischen Maze-Prison kämpfen die IRA-Gefangenen für einen politischen Status. Als jeglicher Protest versagt, beginnen sie einen Hungerstreik.
Knapp formuliert erzählt „Hunger“ in der ersten Hälfte vom Haftalltag der IRA-Gefangenen im nordirischen Maze-Prison. In der zweiten Hälfte sehen wir, wie sich der Insasse Bobby Sands zu einem Hungerstreik entschließt, an dem er schließlich sterben wird. Indem sich Regisseur Steve McQueen dramaturgische Bögen, Nebenfiguren und Subplots spart, kann er sich voll auf die Details und ihre Darstellung konzentrieren. McQueen ist Bildender Künstler, er hat den Turner-Preis gewonnen und repräsentiert in diesem Jahr Großbritannien auf der Biennale in Venedig. Sein Kinodebüt „Hunger“ wirkt auf den ersten Blick so ästhetisch und, ja: malerisch, wie man es vielleicht von einem Künstler erwartet. Dabei arbeitet McQueen gar nicht als Maler, sondern als Videokünstler. Sein ungewöhnlicher Blick zielt auf etwas ganz anderes: Von den Bildern, die von langen, ruhigen Totalen zu Großaufnahmen springen, geht eine unentrinnbare Präsenz aus, die vor allem eines ist: körperlich!
Bevor der Wachmann zur Arbeit fährt, blickt er die Straße hoch und runter, guckt einmal unter sein Auto – dann fährt er los. Das paranoid wirkende Ritual kann der Zuschauer erst später einordnen. Der Mann ist derjenige, der im Gefängnis für das Haareschneiden der IRA-Häftlinge zuständig ist: unter Zwang und blutig. Die Häftlinge befinden sich 1980 im sogenannten „Dirty Protest“. Nachdem sie sich schon geweigert hatten, die Gefängniskleidung zu tragen und nur mit Decken bekleidet sind, starteten sie den „Dirty Protest“: Sie entleeren ihre Nachttöpfe auf den Flur und beschmieren die Wände mit Exkrementen. Außerdem weigern sie sich, sich zu waschen oder die Haare zu schneiden. Vor den Besuchszeiten werden die Häftlinge dann brutal gewaschen und geschoren. Als Vergeltung werden immer wieder Wachmänner von der IRA ermordet. Die Forderungen der IRA, die Häftlinge als politische Gefangene zu behandeln – das hieße, sie dürften Zivil tragen und müssten nicht arbeiten – werden von der Thatcher-Regierung nicht erfüllt. Als letzte Möglichkeit sieht Bobby Sands den Hungerstreik. Sands ist nach 66 Tagen der erste Tote, neun andere folgen, bevor die IRA und die Verwandten der Häftlinge ein Ende des Streiks erreichen. Wenige Tage darauf werden die Forderungen erfüllt. Sands wird während des Streiks für zwei Gemeinden ins Parlament gewählt, zu seinem Begräbnis kommen 100.000 Menschen.
Steve McQueen inszeniert dieses politische Drama minimalistisch und unprätentiös. Die anfangs ästhetisiert wirkenden Bilder zeigen bald, dass es vor allem um Genauigkeit und Intensität geht. Ein mit unbewegter Kamera gezeigter moralischer Schlagabtausch zwischen Sands und einem Priester dauert 15 Minuten, ist aber spannender als jedes Tennismatch. Die Frage der Moral – auf beiden Seien – zieht sich durch jedes Bild. Und wenn man die nackten, ausgemergelten Leiber in den langen Gängen sieht, niedergeknüppelt von Wärtern, dann sind unweigerlich auch die Folterbilder von Abu-Ghraib oder Guantánamo darin enthalten. Und all die grundsätzlichen moralischen Fragen, die die Geschehnisse implizieren.
(Christian Meyer)
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