Boogie Nights
USA 1997, Laufzeit: 152 Min., FSK 16
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Mark Wahlberg, Burt Reynolds, Julianne Moore, John C. Reilly, Don Cheadle, Heather Graham, Luis Guzman, William H. Macy
Das dicke Ende kommt zuletzt…
Andersons meisterhafte Tragikomödie
Und damit sind natürlich auch Dirk Digglers… Qualitäten gemeint, die uns in der letzten Szene des Films noch einmal präsentiert werden. Denn der 17-jährige aus dem San Fernando Valley wird in den 70er Jahren zum Wunderkind der aufstrebenden Pornobranche (freilich nicht durch seine Schauspielkunst). Dabei ist aus „Boogie Nights“ kein selbstgefällig provozierendes, tabu-brechendes Drama geworden, sondern eine Tragikomödie, in der Paul Thomas Anderson in der visuellen Tradition Martin Scorseses das Show- und Family Business seziert.
Es ist das Jahr 1977, und die Nächte an der amerikanischen Westküste sind voller Disco-Klänge. Und es ist die große Zeit klassischer Sexfilme. Zufällig fällt dem Pornoregisseur Jack Horner (Burt Reynolds) in einem Nachtclub der dort jobbende Eddy auf. Der 17jährige hat angeblich ein gewaltiges Gemächt, das zu sehen schon einige Leute ihre Geldscheine zücken ließ. Das weckt Horners Interesse – und da Eddy sowieso aus einem zerbröckelnden Elternhaus flüchtet, findet er bei der Pornofamilie Unterschlupf und unter dem klangvollen Namen „Dirk Diggler“ auch ein Karrieresprungbrett. Da gibt es Amber Waves (Julianne Moore), der rothaarige Mutterersatz, dem ein Sorgerechtsstreit um ihren Sohn schwer zu schaffen macht. Oder Rollergirl (Heather Graham), die Unschuld auf Rollschuhen, die eine horizontale Karriere der Schulbank vorgezogen hat. Oder Little Bill (William H. Macy), der dauerhaft gehörnte Ehemann, dessen Frau ihn mehr als schamlos in jeder freien Sekunde vor seinen Augen betrügt – mit schließlich tragischen Konsequenzen. Dirk Diggler will jedoch mehr – zuammen mit seinem Schauspielerkollegen Reed (John C. Reilly) ersinnt er „innovative“ Sex-and-Crime Unterhaltung. Jack Horner ist entzückt – doch dann geht es, kokaingetriebenen Schrittes, nach und nach bergab…
Dabei will „Boogie Nights“ in erster Linie gar kein fiktionales Biopic über den Niedergang der Pornoindustrie sein. Pornolegende John Holmes („Mr. 33 Zentimeter“), auf dem die Figur des Dirk Diggler basiert, starb 1988 an Aids – soweit jedoch entrollt Anderson seine Abwärtsspirale nicht, wenn doch auch ein paar Gemeinsamkeiten wie der legendär gescheiterte Drogendeal mit gestrecktem Kokain auf gewissen Parallelen basieren. Hier liegen die Nerven blank und das über große Strecken frivol dahin tänzelnde Stück fiktionaler Zeitgeschichte wird noch einmal höchst spannungsvoll verdichtet.
So balanciert „Boogie Nights“ über 2 ½ Stunden, die lediglich in der Mitte des Films etwas durch experimentelles Filmmaterial gestreckt wirken, zwischen Drama und Komödie entlang. Mit pornografischem Material wird hier dezent umgangen. Dabei schaut der Film einerseits mitleidsvoll auf die um Anerkennung bemühte Porno-Industrie in Gestalt von Regisseur Jack, der – blind für den ganzen Kitsch – bloß für seine Kunst geschätzt werden möchte. Ebenso ergeht es Dirk Diggler, der sich in den 80er Jahren mit grausamem Synthie-Pop-Rock emanzipieren will. Andererseits verdeutlicht der Film auch die gesellschaftliche Ächtung, die denen zuteil wird, die aus dem System ausbrechen und seriös werden wollen, wie Hi-Fi Enthusiast Buck, dessen Traum ein eigener Laden ist und der doch auf Ablehnung stößt. Ob es Don Cheadle, Philip Seymore Hoffman oder Burt Reynolds sind, das Casting ist hier im Grunde perfekt – es gibt unzählige höchst amüsante Nuancen zu entdecken. Den Durchbruch bedeutete „Boogie Nights“ auch für Mark(y Mark) Wahlberg, der sich von da an lieber in hochkarätigen Filmen, statt mit peinlichem Rap profilieren konnte.
Ausnahmeregisseur Paul Thomas Anderson läuft mit „Boogie Nights“ schon früh in seiner Karriere zur Hochform auf, die er auch in seinen weiteren Filmen („Magnolia“, „Punch Drunk Love“ und „There will be Blood“) halten sollte. Dabei zitiert er auch das visuelle und narrative Vokabular seiner zwei großen Vorbilder Martin Scorsese („Goodfellas“) und Robert Altman („Short Cuts“). Ein stimmiger Trip in die 70er, eine Tragikomödie par Excellence, die mit einem lächelnden und einem weinenden Auge von Existenzen erzählt, die hier und da scheitern, teils doch wieder die Kurve kriegen und am Ende wieder als etwas andere „Familie der Verdammten“ zusammenkommen.
(Daniel Brüning )
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