Blade Runner – The Final Cut
USA 2007, Laufzeit: 113 Min., FSK 16
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young
Wie Tränen im Regen
Matt513 (266), 07.06.2017
Zu den Filmen, die in ihrer eigenen Liga spielen, gehört zweifellos Scotts Adaption eines klassischen Film noir in die damals ferne, düstere Zukunft des 21. Jahrhunderts. Einer DER filmischen Höhepunkte der 80er Jahre, eines daran nicht eben armen Jahrzehnts. Man kann ihn dutzende Male anschauen und bekommt nicht genug davon. Regelrecht davon besoffen, möchte man in diese auf rätselhafte Weise furchtbare wie traumhafte Ansicht der Zukunft versinken. Vangelis‘ Sphärenklänge machen Scotts Vision regelrecht fühlbar. Blade Runner steht wie kaum ein anderer Film dafür, wie sehr die emotionale Tönung von Filmbildern durch Musik & Sound beeinflußt wird, denn Hand aufs Herz, Scotts Los Angeles des Jahres 2019 ist Dystopie pur: Überbevölkerung, echte Tiere sind zu Kostbarkeiten geworden, Müll in den Straßen, das Individuum eingepfercht in eine Welt aus Stein, das Wetter außer Kontrolle, den trüben Horizont beherrscht die monolithische Zentrale eines übermächtigen Technologiekonzerns. Aber komisch, dank der warmen Klangdusche wirkt das alles gar nicht so schlimm.
Verrückterweise war es ausgerechnet das knappe Budget, welches zu dem ikonischen Look führte. Eine schon vorhandene Häuserzeile auf dem Studiogelände wurde kurzerhand mit Neonreklamen und schlauchartigen Gebilden in die Zukunft umgewidmet. Sodann wurde dort bei Nacht gedreht, denn angesichts der finanziellen Einschränkungen nannte der ehemalige Werbefilmer Scott Regen, Dampf und Dunkelheit seine drei wichtigsten Verbündeten beim Dreh; damit könne man am besten Atmosphäre erzeugen. Permanente Spannungen überschatteten die Produktion. Der wochenlange Dreh bei Nacht setzte zu. Schauspieler wie Filmteam rieben sich am Arbeitsstil des nicht uneitlen Regisseurs, was in einem putzigen T-Shirt-Krieg am Set gipfelte. Einen Star wie Harrison Ford ließ er tagelang links liegen; er selbst komponierte ungerührt am Set diese wunderbaren Kameraeinstellungen, während ihm die Gesandten eines unüberschaubaren Konsortiums von Produzenten und Financiers auf den Füßen standen.
Künstliches Leben zu erschaffen - nicht mehr lange und der Mensch könnte mit ähnlichen existenziellen Fragen konfrontiert sein wie hier im Film. Verläuft der technische Fortschritt wie bisher, wird die Schaffung eines synthetischen Wesens absehbar, welches in seinen kognitiven und emotionalen Fähigkeiten seinen Erschaffern gleich, wenn nicht überlegen sein wird. Wenn dieser Grenzübertritt vollzogen wird und die Maschine selbständig Gedanken und Emotionen entwickelt, wie wird der Mensch damit umgehen? Wird er sein Werk weiter als Gegenstand begreifen, dem ein Sicherungssplint einzufügen ist, oder doch als etwas, was aufgrund dieser Eigenschaften sich ein Recht eigenständig zu existieren erwirbt? Wo fängt das an, was wir als Leben bezeichnen, was bestimmt es? Wie nähmen künstliche Wesen dies wahr? Würden sie, zur Selbstreflexion befähigt, sich selbst als vollkommen begreifen, ihren Erschaffer dagegen als unperfekt, entbehrlich, sich womöglich gegen ihn erheben? Der Film thematisiert diese Möglichkeit wie schon andere davor. Hier hat die Nexus 6-Baureihe es zu vorläufiger Exzellenz geschafft, jedoch ohne die Fähigkeit, empathisch reagieren zu können, weswegen ihr der ‚Sicherungssplint‘ begrenzten Lebens eingefügt ist. Überhaupt Empathie – das bestimmende Thema des Films. Philip K. Dick postulierte, sie mache das menschliche Wesen überhaupt als solches aus und schuf danach den berühmten Roman „Do Androids dream of electric Sheep?“, welcher die Vorlage für das Drehbuch bildete. Bezeichnenderweise sind es im Film die Replikanten, welche durchaus empathisch reagieren, während die menschlichen Charaktere eher stumpf bleiben.
Rutger Hauer, der den ‚arischen‘ Anführer Roy spielt, machte sich auf der Leinwand unsterblich. Für mich der eigentliche Star des Films; kaum zu glauben, daß er nichtmals auf dem Kinoplakat abgebildet ist. Schlichtweg eine großartige mimische Leistung, welche dem Film ähnlich wie die Musik den Stempel aufdrückte; der berühmte Satz von den Tränen im Regen stammte von Hauer selbst.
Was treibt Roy beim Showdown auf dem Dach zu seinem Handeln an?
Es geht ihm darum, in dieser Welt Spuren zu hinterlassen, was sich aus dem universalen, sehr menschlichen Wunsch speist, das eigene Dasein möge einen Sinn gehabt haben, bevor man dereinst von der Bühne des Lebens abtritt. „Wenn Du mit Deinen Augen sehen könntest, was ich mit Deinen Augen gesehen habe“ sagt er zu dem Augenmacher und „Ich habe Dinge gesehen, die Ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor“ zu Deckard. All dies, um sein Leben in den Köpfen der Menschen zu konservieren. „Jetzt weißt Du, wie es ist, ein Sklave zu sein“, auch dies ist Teil seines emotionalen Vermächtnisses; damit wirbt er um Empathie für seinesgleichen und bringt diese selbst nur wenige Momente später entschlossen zum Ausdruck. Eigentlich ist das unlogisch. Warum tut er das an dem, der sein Todfeind ist? Weil er erfahren hat, wie kostbar das Leben ist und dieses in dem Moment über alles andere stellt. Damit hat Roy, der seinen Schöpfer vergebens um mehr Zeit anbettelte, sein Ziel zumindest in Teilen erreicht. Er hat den Design-Makel der Nexus 6-Baureihe überwunden und ist, wenn nicht mit längerem Leben, dann wenigstens in diesem Aspekt den Menschen gleich geworden.
Der Final Cut ist übrigens DER eigentliche Director’s Cut. Nach Überschreiten des Budgets war Scott vom Produzententeam gefeuert worden; diese ließen den ungeliebten Off-Kommentar anfertigen, damit der Film verständlicher wurde, schnitten das Material und fügten das ebenso umstrittene „Happy-end“ an. Später, nachdem der Film ein Kulterfolg geworden war (in den USA litt sein kommerzieller Erfolg zunächst darunter, daß zur selben Zeit E.T. gestartet war), lud man Scott ein, diese ursprüngliche US-Kinoversion im Sinne eines Director’s Cut zu überarbeiten. Es ist einmal mehr Alan Ladd Jr. (der sich bereits um die Realisierung von Krieg der Sterne verdient gemacht hatte) zu danken, nämlich dafür, Scott zurück ins Boot geholt zu haben. Doch wurde diesem für die Überarbeitung der Kinoversion nicht die notwendige Zeit gegeben, die ein Director’s Edit nötig gehabt hätte. U.a. wies diese zweite Version immer noch Kontinuitäts- und logische Fehler auf. Erst der zwischen 2000 und 2007 realisierte Final Cut entsprach ganz seiner Vision, beseitigte alle Imperfektionen und kommt bei Überarbeitung des kompletten Bild- und Tonmaterials außerdem ohne den gesprochenen Off-Kommentar sowie das „Happy-end“ aus.
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