Alle die du bist
Deutschland 2024, Laufzeit: 104 Min., FSK 12
Regie: Michael Fetter Nathansky
Darsteller: Aenne Schwarz, Carlo Ljubek, Youness Aabbaz
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Beeindruckendes Erzählexperiment
Wen man sieht
„Alle die Du bist“ von Michael Fetter Nathansky
Wieder einmal wird Nadine herbeigerufen. Paul war schon vor dem Bewerbungsgespräch sehr aufgeregt, dann ist er mitten im Gespräch getürmt und hat sich nun in einer Ecke des Betriebs verschanzt. Nadine kennt das schon lange – Paul ist ihr Mann. Manchmal, wenn er Angst hat wie etwa vor einer Bewerbung, dann ist er panisch und läuft weg wie ein kleines Kind. Oder er wird aufbrausend und tobt wie ein wilder Stier. Er kann aber auch verständnisvoll und unterstützend sein wie eine gute Mutter. Oder euphorisch und impulsgesteuert wie ein Teenager. All das kennt Nadine, all das ist Paul. Doch mitunter wird ihr das zu viel und sie fragt sich: Wer ist denn der echte Paul? Der, in den sie sich verliebt hat, damals, als sie hier in die Region kam und einen Job suchte.
Nach „Sag Du es mir“ aus dem Jahr 2019 ist „Alle die Du bist“ der zweite abendfüllende Kinospielfilm des in Köln aufgewachsenen Regisseurs Michael Fetter Nathansky (Drehbuch zu „The Ordinaries“), der an der Hochschule für Film- und Fernsehen in Potsdam Regie studierte und inzwischen in Berlin lebt. Für seine Regiearbeit kehrt er in seine Heimat zurück. Der Film ist in Köln und Umgebung gedreht und in der Arbeitswelt der Kohleindustrie angesiedelt. Als die alleinerziehende Nadine vor sieben Jahren hier ankam und einen Job fand, wurde aus der anfänglichen Abneigung zu dem unberechenbaren Paul schnell Liebe. Inzwischen haben sie auch ein gemeinsames Kind, und Nadine hat sich gut in ihrer neuen Heimat und dem Arbeitsalltag eingelebt. Die beiden kümmern sich liebevoll um die Kinder und Nadine engagiert sich im Betrieb auch für die Belange der Arbeiter. Gerade ist es ihr aber etwas viel, weil eine Übernahme und damit wahrscheinlich auch Kündigungen anstehen. Doch Nadine schafft es, die Kolleg:innen zu einen in ihrem Kampf. Paul ist dabei nicht immer eine gute Hilfe, denn seine Unberechenbarkeit ist zwar faszinierend, rührend und auch fantasievoll, aber mitunter auch beängstigend und erschöpfend.
„Alle die Du bist“, der in diesem Jahr auf der Berlinale seine Premiere feierte, ist aus gleich mehreren Gründen ein außergewöhnlicher Film. Zum einen sind Aenne Schwarz als Nadine und Carlo Ljubek als Paul in der Darstellung einer taumelnden Liebe in jedem Moment eindringlich in ihrer liebenden Zerrissenheit. Auch ist die Ansiedlung der Liebesgeschichte in der Arbeiterklasse nicht nur eine begrüßenswerte Wiederaufnahme beziehungsweise Erneuerung des fast ausgestorbenen Genres des Arbeiter:innenfilms. Nathansky spürt in seinem Film nach, wie sich die Liebe in die Arbeit schleicht, aber auch, wie die Arbeit in die Liebe kriecht. Und drittens widmet sich der Film auf eine tollkühne Art, die hier nicht genauer beschrieben werden kann, ohne das spontane Kinoerlebnis zu beschädigen, dem Gedanken, wer man ist, wer man wo ist und wie man wahrgenommen wird – nicht auf eine völlig neue, aber auf eine selten berührende Art. All das macht „Alle die Du bist“ zu einem sehr besonderen Film.
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