Im April jährt sich der Völkermord der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reichs an den Armeniern zum 100. Mal. Hunderttausende Menschen kamen 1915 ums Leben – sie starben einen ungesühnten Tod, denn bis heute leugnet und verharmlost die türkische Regierung den Genozid. Der Völkermord an den Armeniern ist offenkundig als Blaupause für nachfolgende Massenmorde wie den Holocaust anzusehen. 1939 „rechtfertigte“ Adolf Hitler seine Machenschaften, indem er sich auf die internationale Gleichgültigkeit nach dem Völkermord im Ersten Weltkrieg bezog: „Wer erinnert sich an die Armenier?“
Serj Tankian, Daron Malakian, Shavo Odadjian und John Dolmayan sind alle armenischer Abstammung. Sie bilden die Alternative Metal-Band System of a Down, die in den frühen 2000ern weltweite Bekanntheit erlangte und sich zu einer der beliebtesten Rockbands sowie zu einem Vorreiter der Alternative Metal-Szene entwickelte. Seit jeher machen System of a Down allerdings nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit ihrem politischen und sozialen Engagement auf sich aufmerksam. Dabei liegt ihnen das Schicksal der Armenier im Ersten Weltkrieg besonders am Herzen, in mehreren Liedern äußern sie sich zu dem Genozid. Anlässlich des 100. Jahrestages des Völkermordes haben System of a Down nun ihre „Wake Up The Souls“-Tour ins Leben gerufen, im Rahmen derer sie die Hallen in acht Städten weltweit füllen. Die Fans freuen sich über die erste Tournee seit Jahren, doch für die Band steht mehr dahinter. Sie will nicht nur Konzerte spielen, sondern an die Opfer des Völkermordes erinnern und zu aktivem Handeln aufrufen. Dazu spielen System of a Down das Abschlusskonzert auf dem Platz der Republik in der armenischen Hauptstadt Jerewan. Für die Band ist das kostenlose Konzert der erste Auftritt in der ethnischen Heimat.
Wie die meisten Konzerte der Tour war auch das Konzert in der Kölner Lanxess Arena schon einige Zeit vor dem eigentlichen Termin ausverkauft. Rund 15.000 Anhänger der armenisch-amerikanischen Band reisten für den seltenen Genuss aus ganz Deutschland und den Nachbarländern an. In der einen Hand ein Bier, in der anderen Hand noch ein Bier warteten die Fans geduldig stundenlang vor der Arena auf den kraftvollen Startschuss des Gigs. In drei Teilen suchten System of a Down an diesem Abend nicht nur die Begeisterung des Publikums, sondern auch die Konfrontation mit der Realität der Völkermorde. Dazu wurde noch vor dem ersten Lied ein Clip eingespielt – einer von dreien, die im Comicstil oder mit Originalaufnahmen von Kriegsgebieten und Opfern kurz, aber eindringlich die Umstände des osmanischen Völkermordes sowie nachfolgende Massenmorde wie die Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten durch Nationalsozialisten beschreiben. Die Stimmung der Menge trübten diese Videos keineswegs, was jedoch nicht bedeutet, dass die Botschaft das Publikum nicht erreicht hat. Denn bei allem lauten Mitsingen und -tanzen kehrte für jedes Video Ruhe ein. Wo bei vorherigen Konzerten der Tour mitunter bezweifelt wurde, dass die Nachricht der Band von den Zuschauern bewusst wahrgenommen wurde, kann für einen Großteil der Fans in der Arena diese Frage positiv beantwortet werden. Auch Frontsänger und Keyboarder Serj Tankian und seine Band bemerkten das und bedankten sich mehrmals für die Aufmerksamkeit und die Unterstützung des Publikums.
System of a Down lieferten einen soliden und eindrucksvollen Auftritt ab, in den sie ihr Anliegen geschickt einbauten. Auf die eingespielten Filme folgten Songs zur Genozid-Thematik, die erneut bewiesen, dass die Band das Motto der Tour von ganzem Herzen unterstützt. Ein energiegeladenes Lied jagte das nächste, Walls of Death und Circle Pits hielten den Zuschauerraum vor der Bühne in Bewegung, und auch auf den oberen Rängen hielt es kaum jemanden auf dem Sitz. Dabei bauten System of a Down auf der sicheren Begeisterung der Fans für ihre vielen Hits wie B.Y.O.B., Chop Suey! und Aerials. In der zweieinhalbstündigen Show gaben Tankian und seine Band bekannte und weniger häufig gespielte Songs aus allen Alben zum Besten und beschenkten das Publikum mit reichlich nostalgischer Energie.
Serj Tankian, Sänger, Texter, Keyboarder und gelegentlicher Gitarrist der Band, überzeugte auf ganzer Linie mit seiner mal eindringlichen und beinahe schrillen, mal ruhigen und zurückhaltenden Stimme – dabei überließ er die Publikumsmotivation wie gewohnt die meiste Zeit dem Rest der Band, schien zumeist wie in Trance für sich allein zu singen. Dadurch schuf er trotz der Größe der Halle ein Gefühl der Nähe zu seinen Fans. Bei der Wake Up The Souls-Tour wurden System of a Down auch von Zweitsänger und Gitarrist Daron Malakian, der zuletzt mit seiner eigenen Band Scars on Broadway arbeitete, unterstützt. Viel war gar nicht nötig, um die Stimmung im Publikum anzuheizen, denn die Songs der Band gelten als Evergreens der Alternative Metal-Szene und sprechen seit Jahren für sich selbst. Also gab es auch nicht viel mehr als die Songs der Band – jede Ansage wurde zu einem kleinen Highlight. Auch Zugaben wurden nicht gespielt – doch nach dem intensiven, kräfteraubenden Konzert nahm das der Band kaum jemand übel, ist doch auch das eher die Regel als die Ausnahme bei System of a Down.
Das Hoffen auf neue Stücke blieb vergebens. Knapp zehn Jahre ist die letzte Albumveröffentlichung nun her. Dennoch müssen Fans der Band noch nicht verzweifeln, denn erst vor kurzem erwähnten die Alternative Rocker, dass es womöglich bald wieder ins Studio geht.
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