Noch während das Publikum plauscht betritt ein junger Mann aus dem Zuschauerraum die Bühne und beginnt großspurig das spartanische Bühnenbild – oder eher Büro – zu bemängeln: „Anscheinend sind die Neunziger gar nicht tot, sie riechen nur so.“ Nick (Christian Dücker) ist ein „Digital Native“, der dem Berliner Hipster-Brutkasten entflohen ist, um in einem aufstrebendem Kölner Start-Up-Unternehmen Fuß zu fassen. So hat Detlef, der Inhaber des Kölner Unternehmens, es Nick zumindest verkauft. Doch Datadukt entpuppt sich als dröges Datenschutzunternehmen, bestenfalls eine „digitale Putzkolonne“. Nicht mal einen Kickertisch, geschweige denn einen Smoothie-Maker gibt es hier – ganz abgesehen vom steinzeitlichen Equipment. Zu allem Überfluss ist seine Vorgesetzte Victoria (Jutta Dolle) die Exfrau vom Chef und sein Kollege Frillo (Sebastian Schlemmer), ein Hybrid aus Spießer und Nerd, sieht in ihm einen unerwünschten Nebenbuhler. So begleiten wir Nick durch seinen ersten Arbeitsalltag voller Intrigen, Eskapaden und diffizilen Beziehungsgeflechten.
Das Lachen fällt leicht bei „Ein Nerd kommt meistens allein“, denn die geistreichen Pointen kommen wie aus dem Gewehr geschossen, die Gesellschaftskritik wiegt schwer, wird aber in gut portionierten Einzelvorträgen eingestreut. In einem Moment sinniert Frillo über „den Crash, der das System erhält“ und im nächsten Moment geht die Handlung weiter. Im nächsten Moment lachen wir wieder und denken erstmal nicht weiter über das soeben Offenbarte nach. So wie wir nicht weiter über die NSA-Affäre nachdenken, sobald wir die neuste Staffel „Game of Thrones“ auf Netflix streamen, auf Facebook liken und unsere Meinung twittern können.
Die subtil aber gezielt gesäte Kritik führt dazu, dass man sich als Zuschauer nicht belehrt fühlt, sondern zur Reflektion angeregt: „Macht es uns die moderne Kommunikation mit ihren Sozialen Netzwerken wirklich einfacher oder verschleiert sie die wichtigen Fakten unter den Variablen? Was in unsere Verantwortung im Netz als Einzelperson und als Unternehmen?“ Klar macht uns das Stück vor allem eines: Die Lösung muss eine gemeinsame sein, man ist nicht bloß Zuschauer. Man ist ein Akteur. So wie im Stück selber, in welchem die Schauspieler immer wieder mit dem Publikum interagieren. Man spricht mit ihnen, fühlt mit ihnen und erkennt sich selbst oft unangenehm in ihnen wieder. Das Stück ist Kabarett, bissig und kritisch, aber auch Sitcom, humorvoll und situativ. Das alles in drei Akten à 30 Minuten mit jeweils zwei Pausen von einer Viertelstunde.
„Es sollte intelligent sein wie ‚The Big Bang Theory‘“, erklärt Heiner Kirchner, Geschäftsführer der Produktion sopolonia – was für „sozial-politisch-kritisches Kabarett in Colonia“ steht. In den 80ern baute er das Senftöpfen Theater mit Alexandra Kassen Senior am heutigen Standort auf und ist somit versiert im Kabarett-Sektor. Die Grundidee erarbeitete er zusammen mit Maike Greine von 1Live und Komikerin Anka Zink. Den jugendlichen Schliff habe am Ende, nach Kirchners Aussage, aber vor allem Johan Heß rein gebracht, der zusammen mit Markus Tomczyk Regie führte. So ist das Stück – obwohl es in erster Linie für „30- bis 50-Jährige und Firmen die mit dem Thema Daten zu tun haben“ angedacht war – altersmäßig ambivalent. Nach der Aufführung applaudieren jung und alt gleichermaßen begeistert.
„Ein Nerd kommt meistens allein“ | R: Johan Heß, Markus Tomczyk | 25.4., 2., 9., 16., 23.5. 20.30 Uhr | Atelier Theater | 0221 24 24 85
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