Corona hat für Komplikationen gesorgt. Reisen und Festivals sind rar und problematisch geworden. Die ganze Musikbranche geriet ins Wanken. Zudem hinterließ der Shutdown kulturell und emotional Spuren bei jungen Menschen, die nicht auf Konzerte gehen und sich nicht mehr in Clubs zu Musik ihre Gefühle von der Seele tanzen konnten.
Dafür ist die heimatliche Luft ein wenig besser geworden. Wie praktisch also, dass es die Freilicht-Konzertreihe „Summer Stage Cologne“ im Kölner Jugendpark gibt. Nicht irgendeine Veranstaltung, ist sie doch extra auf die durch Covid-19 besonders gewordenen Bedingungen ausgelegt, um pandemiegerechte Open-Air-Konzerte zu ermöglichen. Statt zu stehen, sitzt der Zuschauer in Parzellen. Das Konzept, das seit Ende Juni Veranstaltungen auf die Bühne bringt, ging anlässlich der offenbar nach Konzerten gierenden Menschen und nach Auftritten durstenden Musikern gut auf, so Jens Ponke von Planbar Productions, der die Reihe organisiert. So konnten u.a. namhafte Bands à la Die Höchste Eisenbahn (20. Juli), Fortuna Ehrenfeld (24. Juli) und Martin Kohlstedt (29. Juli) gewonnen werden.
Schöne neue Normalität
Mit an Bord des heimischen Sonnenuntergangs zu Pop-Musik unter dem Motto „Schöne neue Normalität“ die Kölner Band Coma, am 7. August im Rahmen eines stillen Konzertes mit Kopfhörern. Als ursprüngliches Elektro-Pop-Duo, an diesem Abend aber als Trio vertreten, nahmen die Musiker den nicht verreisten Zuhörer mit auf eine musikalische Synthie-Ersatzreise namens „Voyage Voyage“. Als hätten sie alles geahnt.
Jenes Reise-Surrogat betitelt gleichzeitig die neue Platte, die Marius Bubat und Georg Conrad (City Slang 11/2019) im November vergangenen Jahres herausbrachten. Zumindest hatten die Musiker, die sich schon seit ihrer Jugend am Niederrhein kennen, dies vor, mussten aber ausgerechnet jene Konzertreise nach nur drei Auftritten aufgrund von Corona wieder unterbrechen, wie Bubat berichtet. Das Virus und die Auflagen haben den Musikern – wie vielen anderen auch – zu schaffen gemacht. Beinahe fielen sie gemäß ihres Band-Titels tatsächlich beruflich ins Koma.
Geblieben sei ein mulmiges Gefühl, wie Bubat uns verrät. Einerseits habe man durch die Schließungen so viel Zeit wie noch nie gehabt, Dinge anzugehen, zu denen man sonst nie gekommen sei. Somit könne man dies gewissermaßen auch positiv besetzen. „Aber mehr und mehr setzt sich das Gefühl fest, dass man ohne eigenes Zutun und völlig machtlos seine Existenzgrundlage verliert.“ Zwar gäbe es viele Unterstützungs-Möglichkeiten, so Bubat, aber die meisten davon kämen für freischaffende Künstler ohne Betriebskosten und Firma nicht in Frage. Und das in einem Sektor, in dem die Menschen ohnehin in der Regel nicht viele finanzielle Polster hätten.
Ambivalenter Elektro-Pop
Um so schöner also, dass dem Zuhörer nach langer Abstinenz Teile dieser träumerischen Reise nun – wenn auch mit Abstand – gegönnt werden. Und auch, wenn das Reise-Thema eher abstrakt angedacht war als ein tatsächlicher Reiseführer in ein etwaiges Tropenparadies, wie Bubat mit Augenzwinkern erklärt. Der Bezug zum gleichnamigen Hit der 80er sei eher als ironische Brechung und Pop-Zitat zu verstehen.
So gab es Häppchen des Synthie-Pops – diesmal via eingesprühter Kopfhörer – auf die von Live-Musik entwöhnten Ohren. Ambivalenter Elektro-Pop – mal melancholisch-düster, zwischendurch sehnsuchtsvoll, dann optimistisch angehaucht. Nie aber zu aalglatter Pop, als dass er nur in Clubs gespielt werden könnte. Stücke wie „Minor Matters“ – inklusive eines rätselhaften, wackelnden, minimalistischen Mond-Videos – scheinen in Zeiten der Pandemie fast mehr an Bedeutung gewonnen zu haben: Sind es doch die kleinen Dinge, die am Ende gewichtiger sind? Wo geht die Reise der Natur hin? Welches eigenartige Verhältnis besteht eigentlich zwischen Mensch und Universum? Herrscht die Natur über den Menschen, der doch stets dachte, alles im Griff zu haben?
Unterstützung für Künstler
Synthie-Pop zwingt sein Publikum beinahe das Tanzen auf, was am Ende dann auch geschah, wenn auch vorsichtig und am Rande mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand. Summer Stage Cologne – ein erstes musikalisches Aufleuchten nach klanglicher Dürreperiode – wird noch bis zum 6. September weitergehen. Danach bleibt abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt. Weitere noch kommende Auftritte sind etwa der von Cat Ballou am 23. August, Alin Coen am 24. August sowie Enno Bunger am 27. August. Außerdem sind die Veranstaltungsreihen Lagerfeuer Deluxe, Delayed Night Show und Science Slam vertreten.
Durch den Eintritt unterstützen Musikfreunde Konzerte für existenziell bedrohte Künstler in Zeiten der Krise. Bleibt zu hoffen, dass das Virus nicht wieder die gesamte Branche den Bach hinunterspült. Wenngleich körperliches Wohlbefinden wichtig sein sollte. So wünscht die Band Coma dem Publikum für dessen künftige gesundheitliche Reise auch alles Gute.
Summer Stage Cologne | bis 6.9. | summer-stage.cologne
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