Am 9. August präsentierte eine choices preview den spanischen Film „Alcarràs – Die letzte Ernte“ im Odeon-Kino vor einer außergewöhnlich hohen Besucherzahl. Im Anschluss wurde mit verschiedenen Partnern über die Herausforderungen der europäischen Landwirtschaft diskutiert. Ein absolut sehenswerter Film.
Ein Rauschen in den Bäumen, Regentropfen, die auf Blätter und trockene Erde treffen, Wind, der Staub aufwirbelt und ihn durch die Luft tanzen lässt: Es sind die vermeintlich ruhigsten Szenen in Alcarràs, die doch am lautesten sprechen. Sie lassen die versteckte Hauptdarstellerin zu Wort kommen, ohne die es Konflikt im Film gar nicht gäbe: das Land. Immer wieder lässt Regisseurin Carla Simón solche Bilder einfließen, die mit ihrer Ruhe und ihrer Weite im starken Kontrast zum Rest des Films stehen. Denn der hat es in sich: Es geht um den landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Solé in Katalonien, die um ihre Zukunft bangen muss – wegen fehlender Papiere für das Land, das die Familie seit Generationen bewirtschaftet. Bei der von choices veranstalteten Preview im Odeon-Kino wird deutlich: Solche Geschichten sind kein Einzelfall. Vielmehr ist Alcarràs ein Beispiel, das für viele solcher Familienbetriebe in ganz Europa steht.
Schon im per Videobotschaft übertragenen Grußwort der Regisseurin Carla Simón wird deutlich, dass die Handlung in ihrem Film zwar fiktiv sein mag, die Inspiration dafür jedoch nur allzu real ist. So habe ihr Großvater selbst jahrelang Pfirsichbäume in Katalonien bewirtschaftet, erzählt die Regisseurin. Als er starb, habe sie angefangen nachzudenken – darüber, was passieren würde, wenn die Pfirsichbäume eines Tages verschwänden. Herausgekommen ist die Geschichte der Familie Solé: Auch sie leben in Katalonien, auch sie bauen Pfirsiche an. Doch diese Pfirsichbäume sollen zum Ende des Sommers Solarpanels weichen. Der Grundgedanke des Films sei daher auch gewesen, zu zeigen, dass die Landwirtschaft im Gegensatz zu industriellen Vorhaben eine weitaus „respektvollere Art“ sei, mit dem Land umzugehen.
Viele Bauern in Spanien arbeiten nach dem Gewohnheitsrecht
Ein besonderer Höhepunkt der choices preview war die Diskussion, die im Anschluss auf den Film folgte. Dafür waren zwei der Hauptdarsteller:innen, die Filmmutter (Anna Otín) sowie der Filmvater (Jordi Pujol Dolcet) extra aus Spanien angereist. Passend zum Thema des Films hatte choices außerdem Judith Mayer vom Verein Ernährungsrat Köln e.V. (Projektkoordinatorin 'Essbare Stadt') sowie Franziska Osang von der Solidarischen Landwirtschaft Köln zu der Diskussionsrunde eingeladen. Sie alle bestätigten und diskutierten mit dem Publikum, was der Film zuvor so eindrücklich zeigte: Landwirtschaftliche Familienbetriebe stehen vor sehr großen Herausforderungen.
Angefragt von choices waren noch alternativ Denise Abè, Christian Achtelik oder Christiane Martin vom Ausschuss für Umwelt, Klima und Grün des Stadtrats, um als „politische Stimme der Stadt Köln“ Fragen beantworten zu können, welche Konzepte für gemeinwohlorientierte Landwirtschaft vorliegen. Leider waren sie verhindert.
Darsteller Jordi Pujol Dolcet, selbst Landwirt, sprach unter anderem darüber, dass die im Film thematisierten fehlenden Papiere durchaus kein Einzelfall seien: Viele Familienbetriebe würden nach Gewohnheitsrecht Land bewirtschaften, es gebe oft keine offiziellen Pachtverträge. In manchen glücklichen Fällen würde das Gericht dann entscheiden, dass die Familie dem Gewohnheitsrecht entsprechend weiter arbeiten dürfe – oft werde jedoch auch anderweitig entschieden, dann gehe das Land an Investoren. Doch selbst wenn Betriebe nicht vor diesem Problem stünden, gebe es oft noch ein weiteres: die niedrigen Preise. „Wir können Produkte oft nicht einmal zu dem Preis verkaufen, den uns die Produktion kostet“, sagte Dolcet.
Ein möglicher Lösungsansatz: die Solidarische Landwirtschaft. Das Prinzip dahinter sei einfach, so Franziska Osang: Eine Gruppe von Menschen tut sich mit Landwirten zusammen. Die Landwirte stellen einen Teil ihres Ackerlands zur Verfügung und bebauen diesen ausschließlich für die Gruppe. Im Gegenzug erhalten sie einen festen monatlichen Betrag, unabhängig davon, wie die Ernte ausfällt. Regionales, saisonales Gemüse gegen Sicherheit und eine Existenz, die weniger von großen Konzernen abhängig ist also.
Laiendarsteller:innen sorgen für Authentizität
Abseits der inhaltlichen, politischen Diskussion lobten zahlreiche Besucher:innen den Film für seine Authentizität. Diese ist vor allem der Arbeitsweise von Regisseurin Carla Simón zu verdanken: Sie castete für den Film beinahe ausschließlich Laiendarsteller:innen und ließ sie vor Beginn der Dreharbeiten miteinander Zeit verbringen, um sich in ihren Rollen kennenzulernen. Zudem habe es zwar ein Drehbuch gegeben, die Darsteller:innen hätten dieses jedoch nur einmal zu sehen bekommen, erzählte Anna Otín: „Carla will, dass du weißt, wer du bist, aber nicht genau weißt, was du sagen wirst.“ Deshalb seien der Großteil der Dialoge in dem Film spontan entstanden, teils in vielen verschiedenen Aufnahmen. Herausgekommen ist, wie es einer der Besucher bei der Preview beschrieb: „echtes Leben“.
Kino der Zuversicht
Mit ca.150 Besucher:innen war die choices preview ein Erfolg, an den das Verlags-Team in der Zukunft mit weiteren Previews und Aktionen anzuknüpfen plant. Dieses „Kino der Zuversicht“, soll dabei helfen, die offensichtlich noch vorhandene Zurückhaltung beim älteren Stammpublikum zu überwinden. Wenn es dabei gelingt, durch integrierte Diskussionen, das Gesehene in einem gesellschaftskritischen Rahmen gemeinsam zu reflektieren, umso besser.
PUBLIKUMSSTIMMEN ZUR CHOICES PREVIEW FINDEN SIE HIER
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