Charlyn Marie „Chan“ Marshall, besser bekannt als „Cat Power“, betritt am Abend des 9. Juli im schwarzen Kleid mit ihrer Band die Bühne, und das Publikum weiß nicht, was auf es zukommt. So ist das mit der amerikanischen Folk-Blues-Sängerin der Tragik, ist sie doch emotional instabil. Wer mit der in Atlanta geborenen, seit sage und schreibe 25 Jahren auf der Bühne stehenden Musikerin auf Reise geht, weiß nicht, wo er landet. Aber im Gegensatz zu vielen anderen gibt Cat Power das wenigstens zu. Kommt sie überhaupt, ist die Frage, wurden doch einige Konzerte in der Vergangenheit abgesagt, weil sie sich indessen etwa in einer Klinik befand oder auf Alkohol-Entzug war.
Eines ist klar: Diese vielfältige, inzwischen 47-jährige Musikerin, Sängerin, Songwriterin, Producerin und Schauspielerin, deren Eltern sich trennten und die heute ein eigenes Kind hat, hat schon einiges in ihrem Leben erlebt. Hoch- wie Tiefphasen. Unter anderem Trennungen, die Entfremdung von ihrer Mutter, seltsame Schwellungen im Gesicht, Panik- und Angstattacken. Es ist erstaunlich, dass diese Außenseiterin sich zu so einer Blues- und Folklegende transformiert hat, wuchs sie doch trotz Hippie-Atmosphäre in einem religiösen Umfeld in den Südstaaten auf, wo sie als Jugendliche noch nicht mal Platten hören durfte.
Dann erhebt Cat Power zu zarten, fast naiven Worten ihre kontrastiv dazu tiefe, leicht rauchige Stimme und wirft pure und minimalistische Klänge in den Raum, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, und das Publikum ist gebannt. Cat Power gelingt es in kürzester Zeit mit ihrer emotionalen Musik eine große Nähe zum Publikum aufzubauen, zu berühren. Und das ohne Schnickschnack. So erstaunt es auch nicht, dass sie keine Zeit und Energie mit oberflächlichem Geplänkel oder Witzen verspielt. Stattdessen greift sie gleich zum Wesentlichen: ihrer Musik. Eine röhrende Rock-Legende ist diese Sängerin sicherlich nicht, trägt die Low-Fidelity-Musikerin doch nicht dick auf. Stattdessen gibt Cat Power mit rührender Melancholie ihre Fehler und Fehlbarkeit auf sympathische Weise preis.
Der Titel „Stay“, den sie am heutigen Abend singt, ist ein entliehener Coversong von Rihanna: Der Schmerz und der Schrei nach Liebe und Verwurzelung in einer bodenlosen, schnelllebigen Welt, wird bei ihrer persönlichen Interpretation deutlich fühlbar. Neben Titeln wie „Horizon“ oder „Robbin Hood“ ist „Stay“ eines von insgesamt 11 Liedern ihres im Oktober 2018 erschienenen, nunmehr zehnten Albums „Wanderer“. Da das Album mit seinen übernatürlich anmutenden Klängen dem Label Matador nicht Mainstream genug erschien, produzierte Cat Power es gemeinsam mit Domino Records schlicht selber.
Der Plattentitel lässt sich auf viele verschiedene Weisen interpretieren: als musikalischer Boden für die Rast- und Haltlosigkeit in unserer hektischen Welt. Als Metapher für die innere psychische Reise der Musikerin zu sich selber oder auch als Bild für die vielen verschiedenen Stationen, Orte und Menschen, die sie auf ihrer äußeren Reise als langjährige Folk-Sängerin antraf. Denn: Das Leben als Musiker „on the road“ ist in der Tat wechselhaft. Schließlich weiß man nie, was kommt, ob man von seiner Musik leben kann oder nicht. Somit wirft Cat Powers Musik auch eine zentrale Frage auf: Ist man als Musiker, Künstler oder Kreativer automatisch dazu verdammt, emotional instabil zu sein? Geht es gar nicht anders? Laut eigener Aussage der Sängerin hat das gemeinsame Leben mit ihrem Sohn ihr ein wenig Rückhalt gegeben. So ziert auch der Ansatz eines Kindergesichtes neben ihrem Arm und einem Instrument das Cover von „Wanderer“. Symbolischer könnte ein Bild wohl nicht sein: Cat Power gelingt es trotz aller Tragik immer wieder, sich selbst zu behaupten.
Und: Frauen werden auf dieser Platte großgeschrieben. So gibt es noch eine weitere Hommage an das weibliche Geschlecht auf „Wanderer“. Das Lied, das sie gemeinsam mit Lana Del Rey produziert hat, heißt bezeichnender Weise „Woman“. Es klingt fast wie ein Aufruf als Frau endlich mal selbstbewusster zu werden. So singt Marshall, ihr Arzt habe ihr gesagt, dass ihr Zustand besser sei als je zuvor. Und dass sie endlich frei sei: „I’m a woman of my word, now haven’t you heard?“
Ganz hat Cat Power wohl immer noch nicht zu sich selbst gefunden. Das wird womöglich auch nie der Fall sein. Aber es klingt so, als habe sie diese Unstetigkeit zumindest akzeptiert. Ihr Kind und ihre Musik scheinen ihr dabei zu helfen. „Wanderer“ ist jedenfalls eine überirdische Ode an die Instabilität, verewigt in fließender Musik.
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