Nein. Es ist falsch, verbietet sich, über dieses Stück lediglich zu schreiben. Man muss es schreien, erleiden, weinen … lachen, nach wenigen Stunden Schlaf verspätet oder wieder neu erleben. „Büchner – Die Weltgeschichte meint es nicht persönlich mit dir“ ist eben dies. Ein zeitloses Bildnis der Idee „Menschlichkeit“ mit all seinen Wäldern, Wüsten, Seen, Schlachtfeldern verdichtet in einer Hütte, die der zerschlissenen Seele als Refugium, Trauer- und temporäre Glücksstätte dient. Es geziemt sich weiterhin nicht, darüber Zeilen aus einem beschränkten Vokabular zu bemühen. Sie reißen keine Löcher in die Finsternis wie die flackernden Blicke eines missverstandenen Poeten, dessen Verzweiflung angesichts eines Horizonts aus Missständen die Jahrhunderte überwindet und ziellos aber unaufhaltsam weiter durch den Äther irrt. Es ist nicht richtig. Diese Wörter riechen nicht nach verbranntem Leib, den der Mensch so vorzüglich anzurichten weiß. Die Lettern klingen nicht wie jener zischende Wahn, der gleißend mit der Erkenntnis eines absurden Lebens kollidiert. Nichts von dem. Nur blinkende Zeichen auf weißem Papier. Maximal eineinhalbdimensional.
Dagegen ein Ensemble, das in die Visionen einer der nachhaltigsten Literaten stürmt, um Bühne und Verstand in Brand zu setzen, das übersteigerte Ich zu zelebrieren, dann zu negieren. Und wiederum keine Spur davon auf diesem mit Einsen und Nullen imprägnierten Monitor, dessen gläserne Fasern nichts wissen vom gehorsamen Soldaten Franz Woyzeck und seiner Marie, dem unterwürfigen Hofmeister Lenz, der sich aus Anstand selbst kastriert, oder dem Bruderkuss der französischen Revolutionäre für Georges Danton serviert auf der Guillotine. Kein Gespür, nur elektronische Impulse bestimmen hier das Szenario, während auf der Bühne ein jeder um sein Leben rennt, um Kreuzigung fleht oder sich lieber in Abgründe stürzt, als noch einen Tag im Widerspruch mit dem größten aller Chöre – den Gesängen des wild schlagenden Herzens – zu leben. „Büchner ...“ ist kein (Schau)Spiel. Die Konturen verlieren sich bereits in den ersten Sekunden. Die Betrachter:innen tauchen via Videoleinwand in den Nährboden von Erden, recken ihre Köpfe wie Pflanzen gegen das Sonnenlicht zum hölzernen Verschlag, um Einblicke ins innere Treiben zu erhaschen, werden von den Schatten des stets flüchtenden Individuum aufgeschreckt. Alles wird Nerv, offenbart System, fließt aus dem statischen Bild einer dem Fotografen unter Androhung von Gewalt diktierten Lüge, die Gerechtigkeit, Moral oder gar Freiheit vortäuscht. Aber das fühlt man in diesem Artikel nicht. Lediglich eine vage Reflexion. Doch der Blick trügt. Der Spiegel muss durchschritten werden. Er führt durch den (Theater)Keller mitten ins Elysium.
Büchner – Die Weltgeschichte meint es nicht persönlich mit dir | 21., 22.4., 5., 6.5., 21., 22.6. | Theater der Keller |0221 31 80 59 | www.theater-der-keller.de
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