Mit „zwischen den Jahren“ ist landläufig die ruhigere Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr bezeichnet. In der Filmbranche ist eher der Januar der Monat, der zwischen vergangenem und kommendem Jahr vermittelt. Anfang des Jahres werden noch eifrig Bestenlisten erstellt. Die letzten Neustarts von Ende des Jahres will man ja ebenso wenig unterschlagen wie die ersten Starts vom Anfang des vergangenen Jahres. Bei mehreren hundert Filmen pro Jahr sind auch mal die Guten schneller vergessen, als man glaubt.
Einstimmig Begeisterung rief schon ganz früh im Jahr „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von Martin McDonagh mit einer wütenden Francis McDormand hervor. Ein sehr besonderer Film war Sean Bakers „The Florida Project“ mit seinen großartigen Kinderdarstellern. Besonders war sicher auch Wes Andersons zweiter Puppenfilm „Isle of Dogs“, der die letzte Berlinale eröffnete. Dort lief auch erstmals Gus van Sants schwarzhumoriges Biopic über den im Rollstuhl sitzenden Cartoonisten John Callahan (Joaquin Phoenix). Als Jungstar unter den Regisseuren gilt spätestens nach „La La Land“ Damien Chazelle, der uns mit Hilfe von Ryan Gosling als Neil Armstrong in „Aufbruch zum Mond“ mit ins Weltall nahm. Kein Musical wie „La La Land“, sondern ein musikalisches Biopic über Freddie Mercury war die überaus erfolgreiche „Bohemian Rhapsody“. Aus Deutschland kamen „Transit“ von Christian Petzold und „In den Gängen“ von Thomas Stuber, beide mit dem allgegenwärtigen Franz Rogowski. Und Ulrich Köhler lieferte mit „In My Room“ einen ungewöhnlichen Science Fiction. „Call Me by Your Name“ von Luca Guadagnino, der zum Ende des Jahres mit „Suspiria“ gleich noch ein Horrorfilm-Remake nachlegte, war schon im Frühling ein Sommerhit. Ebenfalls aus dem sommerlichen Italien kam das Märchen „Glücklich wie Lazzaro“ von Alice Rohrwacher. Und die Schauspielerin Greta Gerwig machte mit der Coming-of-Age-Geschichte „Lady Bird“ einen eindrucksvollen Einstand als Regisseurin.
Ein zugegebenermaßen sehr unvollständiger Rückblick. Was man auf jeden Fall festhalten kann: Es war ein gutes Jahr für weibliche Charakterrollen. Das gilt auch für das noch junge neue Jahr, wie Kollege Hartmut Ernst bereits im vergangenen Monat an dieser Stelle feststellte. Auf der 69. Berlinale Anfang Februar sind dann auch die Regisseurinnen sehr präsent: Schon der Eröffnungsfilm „The Kindness of Strangers“ ist von einer Regisseurin: Lone Scherfig. Sieben der zehn Wettbewerbs-Filme stammen in diesem Jahr von Frauen – das ist schon fast paritätisch! Und die Retrospektive schafft sogar 100 Prozent Frauenanteil: Sie blickt mit dem 26 Spiel- und Dokumentarfilme umfassenden Programm „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“ auf Filme von Frauen aus Ost- und Westdeutschland zwischen 1968 und 1999. Um das alles zu Krönen ist in diesem Jahr niemand geringeres als Juliette Binoche Jury-Präsidentin. Der scheidende Berlinale-Direktor Dieter Kosslick verabschiedet sich mit einer ungewohnt weiblichen Berlinale.
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