Diesmal trifft es besonders zu: Entweder man kann mit der Ausstellung etwas anfangen und hält sich ewig in ihr auf oder man verlässt sie sofort wieder. Aber bleibt man lange, so erlebt man sein blaues Wunder. Die Ausstellung, die Trisha Donnelly anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises im abschließenden Raum im Untergeschoss des Museum Ludwig eingerichtet hat, überrascht. Sie jongliert mit vielen Unbekannten, denen sich einfach nicht auf die Fährte kommen lässt. Dafür initiiert sie Assoziationsketten ohne Ende, und: Keine Minute ist vergeudet.
Der Wolfgang-Hahn-Preis ist ein Garant für hochkarätige, sehr aktuelle Ausstellungen im Museum Ludwig. Fast könnte man so weit gehen: Die frischesten Ausstellungen, die es zu sehen gibt, sind die der Preisträger. Donnelly war Teilnehmerin der documenta in Kassel und zweimal auf der Biennale in Venedig vertreten, sie ist mit etlichen Preisen ausgezeichnet worden, und dabei ist die US-Amerikanerin erst Mitte 40. Ihr Werk umweht ein fast legendärer Ruf schon insofern als sie nicht oder mitunter unerwartet (im Rahmen einer Performance) in Erscheinung tritt. In ihrem installativen Werk erschafft sie Dinge, die sich nicht in Worte fassen lassen und die etwas Flüchtiges kennzeichnet. Die man sogar übersehen kann oder doch sieht, aber nicht als solche ausmacht, die aber noch Tage danach durch den Kopf schwirren. Informationen dazu liefert die Künstlerin nicht.
Und doch macht es Donnelly dem Betrachter diesmal relativ einfach: In dieser (sogar recht fülligen) Ausstellung handelt sie mit Wiederholung und Variation. Zudem verwendet sie Elemente, die man aus früheren Ausstellungen kennen könnte. Zu sehen ist auch eine „richtige“ Skulptur. Eine große hochformatige glatte, an den Rändern unscharfe Fläche, in die im oberen Bereich ein helleres, mit Rillen versehenes Querstück eingepasst ist, lehnt an der Wand. Das Material erinnert an Marmor und Granit und scheint Motive aus Werken anderer Künstler (Beuys? Mucha?) zu zitieren, verfügt aber über eine künstlich-funktionale Anmutung. Natürlich stellt sich die Frage nach dem Bezug zu den weiteren Teilen der Ausstellung, die als Ganzes zu verstehen ist. Auf der zentrierten Eingangswand ist über Kopfhöhe eine lichtdurchflutete technoide Konstruktion projiziert, eine weitere Projektion befindet sich im verdunkelten Raum selbst, gegenüber der lehnenden Fläche und so, dass die Projektionen gleichzeitig gesehen werden können. Drinnen bricht die Unterkante des Lichtbilds schräg aus dem Rechteck aus. Zu sehen sind symmetrisch strukturierte Windungen, wie ein mögliches Detail aus der vorderen Projektion, jedenfalls in Beziehung zu dieser. In ihrer Zittrigkeit, der Unschärfe mit den Sprüngen bei der vorderen Projektion und mit der bewegten Helligkeit, die sich bei der hinteren Projektion als liquide Farbe über die feste Struktur schiebt, lässt das an Aufzeichnungen einer Überwachungskamera denken. Dazu kommt eine weitere – dritte – Projektion, die sehr klein auf die Rückseite der Eingangswand fällt. Ihr Bild kommt aus einem Ausschnitt im Sockel, der den Projektor selbst zur Skulptur erhebt.
Trisha Donnelly zeigt Zustände, die nicht stillstehen. Sie zeigt Dinge, die auf Verwandtschaften zu unserer zivilisatorischen Umgebung schließen lassen. Wo haben wir das schon mal gesehen oder bilden wir uns das nur ein? Was kann die Sprache bei dieser Vergegenwärtigung leisten, und wie bleiben die Dinge visuell im Gedächtnis? Natürlich, wie verändert sich ihre Wahrnehmung, wenn wir um ihre Verortung im Kunstkontext wissen? Und: Wie hängt alles miteinander zusammen? Vielleicht ist die Erklärung, was hier monumental und mithin pathetisch projiziert ist, ja ganz banal – aber darum geht es immer weniger. Viel wichtiger: Wir sind mittendrin. Und das ist, wenn man sich Zeit nimmt, ein bisschen atemberaubend und sehr überwältigend.
„Trisha Donnelly: Wolfgang-Hahn-Preis 2017“ | bis 30.7. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65
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