Freitag, 19. Februar: 30 Jahre sind bereits vergangen, seit einige engagierte Mitarbeiter der Berlinale um Manfred Salzgeber (1943-1994) und Wieland Speck (heutiger Leiter der Sektion „Panaroma“) einen queeren Filmpreis ins Leben riefen und diesen zunächst in Form von echten Stoff-Teddybären in kleinem Rahmen verliehen. Drei Jahrzehnte später ist der Teddy Award der bedeutendste queere Filmpreis weltweit, seine Verleihung während der Berlinale zieht tausende interessierte Gäste aus aller Welt an. Seinen Anspruch, einen Fokus auf alternative Lebensformen zu richten, Geschlechtsidentitäten jenseits der Norm zu propagieren und politisch gegen die Unterdrückung, Verfolgung oder Benachteiligung von LGBT-Menschen vorzugehen, hat der Teddy in all den Jahren nicht verloren. Auch wenn die Veranstaltung größer geworden ist und mittlerweile eine von Ralf König gestaltete Teddy-Trophäe verliehen wird, ist die politische Ausrichtung des Preises nach wie vor ungebrochen. Der Ex-Kölner Ralph Morgenstern, einer der Laudatoren des Abends, sagte am Roten Teppich: „Es ist nach wie vor wichtig, dass sich Schwule, Lesben und Transgender outen und rauskommen aus dem Ghetto, gerade angesichts des neuen Rechtsrucks innerhalb Deutschlands.“
Nach dem offen schwulen ehemaligen regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, ließ es sich nun auch sein Amtsnachfolger Michael Müller nicht nehmen, ein persönliches Grußwort an die Gäste in der Station in Berlin zu richten. „Als der Teddy 1987 erfunden wurde, hatten wir auch in West-Berlin noch nicht diese Selbstverständlichkeit, offen mit schwul-lesbischer Lebensweise umzugehen. Es war erst recht keine Selbstverständlichkeit, einen Preis für queere Filme zu vergeben“, so Müller. Aber genau dieses Ziel hätten die Initiatoren mittlerweile erreicht. Der Teddy sei nicht nur der bedeutendste queere Filmpreis weltweit, sondern auch ein Preis, der von den Filmemachern auf der Berlinale ganz selbstverständlich begehrt würde. Doch bei all dem Glamour und dem vertraut-familiären Beisammensein darf man nicht aus den Augen verlieren, dass es weltweit noch mehr als 70 Nationen gibt, in denen Homosexualität unter Strafe steht, in zehn von ihnen sogar unter Todesstrafe. Auf diesen Umstand machte Moderator Jochen Schropp auch bei einem Gespräch mit Amnesty-International-Mitarbeiterin Selmin Çalişkan aufmerksam, mit einem besonderen Augenmerk auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik. Çalişkan erläuterte, dass die derzeit auf drei Wochen reduzierte Abschiebezeit für Flüchtlinge aus so genannten sicheren Herkunftsländern wie Marokko, Algerien oder Tunesien, für traumatisierte LGBT-Flüchtlinge viel zu kurz sei, da diese deutlich länger bräuchten, um sich zu öffnen und über Unterdrückung, Demütigung und Gewalterfahrungen zu berichten, die in ihren Heimatländern nach wie vor tabuisiert sind und deswegen nicht zur Sprache gebracht werden.
Klicken Sie auf eines der Bilder und starten Sie so die Bildergalerie (9 Bilder).
Die neunköpfige internationale Teddy-Jury hatte in diesem Jahr die Qual der Wahl, ihre vier Siegerfilme aus 25 möglichen Lang- und 12 Kurzfilmen auszuwählen. Als besten Kurzfilm kürten sie den schwedischen Knet-Animationsfilm „Moms on Fire“ von Joanna Rytel, die darin auf humorvolle Weise die lästige Schwangerschaft zweier Frauen thematisiert. Als bester Dokumentar- bzw. Essayfilm konnte sich „Kiki“ von Sara Jordenö gegen die Konkurrenten durchsetzen, eine schwedisch-amerikanische Koproduktion, die in der Tradition des ehemaligen Teddy-Siegerfilms „Paris is Burning“ steht und die flamboyante aktuelle New Yorker Ballroom-Szene beleuchtet. Mit dem Teddy-Jury-Award wurde 2016 „Nunca vas a estar solo (You’ll never be alone)“ von Alex Anwandter ausgezeichnet. Der chilenische Film berichtet auf eindringliche Weise von gewalttätigen homophoben Übergriffen auf einen jungen Mann und beruht traurigerweise auf tatsächlichen Vorkommnissen. Auch ein Special Teddy Award für das Lebenswerk wurde im Jubiläumsjahr verliehen, an die keine Risiken scheuende Produzentin Christine Vachon, die neben sämtlichen Filmen von Todd Haynes (Teddy-Siegerfilm „Poison“, „Carol“) auch einige weitere queere Lieblingsfilme („Hedwig and the Angry Inch“, „Kill Your Darlings – Junge Wilde“) auf den Weg gebracht hat. Zum krönenden Abschluss des Abends verlieh die Jury den Teddy für den besten Spielfilm an den Überraschungssieger „Kater“ des Österreichers Händl Klaus. Der Regisseur des Films über eine schwule Beziehungskrise war über die Auszeichnung selbst dermaßen überrascht und erfreut, dass er mit seiner herzigen Dankesrede bei allen Anwesenden eine ansteckend gute Laune verbreitete.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Hochwertiges deutsches Filmschaffen
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik 2022 auf der Berlinale – Foyer 02/23
„Mit Greta ins Kino gehen“
Dieter Kosslick blickt in Autobiografie auf Berlinalen zurück – Interview 02/21
„Das Kino wird vermisst!“
Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW, über den Stillstand der Branche – Interview 05/20
„Das ist keine 08/15-Liebesgeschichte“
Paula Beer über „Undine“ – Roter Teppich 03/20
Tag der Abrechnung!
Rück- und Vorschau für Neunzehn/Zwanzig – Vorspann 02/20
„Die Figuren funktionieren wie Geister“
Franz Rogowski über „Transit“, Berlinale-Trubel und Christian Petzold – Roter Teppich 04/18
Über Männer reden
Alte Bosse, etablierte Regisseure und ein europäisches Talent – Vorspann 02/18
Notwendige Sensibilisierung
IDAHOT-Programm im Filmforum – Foyer 05/17
Mehr Mut
Bei den 31. Teddy Awards auf der Berlinale ging es um Toleranz – Festival 02/17
„Eine wahnsinnige Kinolandschaft“
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik auf der Berlinale – Festival 02/17
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Doppelter Einsatz für „Afrika“
Spendenaufruf des Afrika Film Festivals – Festival 05/24
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Prominente Drehorte
Der Verein Köln im Film zeigt in Köln gedrehte Spielfilme – Festival 05/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Filmgeschichten, die das Leben schreibt
Neue Dokumentarfilme aus einer verrückten Welt – Festival 01/24
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23