Die Anspannung, die sich allmählich in ihrem Ausdruck bemerkbar macht, kann Anne Luise Müller nicht länger verbergen. Zunächst ist da eine Dame aus dem Publikum, die wissen möchte, warum die Politik dem neuen Besitzer des Gaffel-Hauses am Eigelstein nicht genügend Druck gemacht habe, damit er seine Immobilie nicht in ein Hotel, sondern in Wohnraum umwandle. „Noch leben wir in einem Land, in dem Eigentum geschützt ist!“, entgegnet Müller, die an diesem Abend als Leiterin des Stadtplanungsamtes im Haus der Architektur Köln Fragen aus dem Publikum beantwortet, sichtlich gereizt. Über 100 potenzielle Bauflächen in der gesamten Stadt hat ihr Amt untersucht, und ein Teil dieser Arbeit stößt nicht bei allen Anwesenden auf Begeisterung. Endgültig scheinen die Stricke jedoch zu reißen, als eine zweite Dame behauptet, Müllers Amt habe bei der Planung von neuem Wohnraum geschützte Grünflächen mit einbezogen. „Ich bin sehr verärgert“, sagt Müller. „Sie tun so, als wären wir im rechtsfreien Raum.“
Freiraum gegen Wohnraum
Bereits der Name der Veranstaltung, unter dem sich die ReferentInnen und etwa 50 Interessierte eingefunden haben, macht deutlich, dass da ein beinahe unüberbrückbarer Konflikt besteht. Jeden Dienstag um 19 Uhr lädt das Forum für Architektur zu einer Stunde Baukultur, an diesem Abend besonders provokant mit: „Köln braucht Wohnungen – aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft!“. Man fühlt sich ertappt, möchte sich rechtfertigen. Denn eine Positionierung ist gefragt – vor oder nach dem „aber“. Konfliktpotenzial birgt offenbar die Tatsache, dass sich die meisten auf beiden Seiten sehen. Ganze 66.000 neue Wohneinheiten werden bis zum Jahre 2030 in Köln benötigt. Über 30.000 Wohneinheiten befinden sich bereits in der Umsetzung. Der Kölner Stadtrat gab am 20. Dezember grünes Licht für den Bau von 16.000 neuen Wohneinheiten. Immer noch besteht eine Deckungslücke von etwa 20.000 Einheiten.
Soziales Pulverfass
Der Titel der Veranstaltung scheint auch Michael Frenzel, stellvertretender Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses des Stadtrates, Kopfschmerzen zu bereiten. Denn dieser suggeriere, dass die BürgerInnen ein Problem darstellen. Stattdessen sei dieser breite Diskurs gerade erwünscht. Noch mehr Kopfschmerzen bereitet ihm jedoch die Gefahr einer sozialen Segregation, wenn innerhalb der nächsten zwölf Jahre nicht genug Wohnraum geschaffen werde. Der gering verdienende Teil der Bevölkerung würde so immer weiter ins Abseits gedrängt werden, so Frenzel, „Städtebau ist daher für uns auch immer eine sozialpolitische Frage“.
Mit „uns“ ist die Kölner SPD gemeint, die im Dezember gegen den besagten Beschluss der Kölner Grünen, CDU und FDP im Stadtrat stimmte. Als „unsozial, ungerecht und mutlos“ hatte die SPD den Beschluss kritisiert, als ungenügend angesichts der akuten Lage. Dass etwa in Lindenthal bis 2029 lediglich 15 neue Wohnungen entstehen sollen, stößt bei Frenzel auch noch an diesem Abend auf Unverständnis, während Müller dies mit der regionalpolitischen Relevanz des Viertels begründet – wobei offen bleibt, worin diese genau besteht. Eine weitere Unstimmigkeit zwischen Frenzel und Müller: Während letztere das Umland Kölns verstärkt in die Verantwortung für die wachsende Stadtpopulation ziehen möchte, entgegnet der SPD-Mann: „Die sagen: Köln schafft es nicht annähernd seine Vorgaben zu erfüllen, warum sollten wir das tun?“
Bürgerinitiative „Grüne Lunge Köln“
Zu Frenzels Linken sitzt an diesem Abend außerdem Barbara Burg von der Bürgerinitiative „Grüne Lunge Köln“, die nicht nur sitzplatztechnisch mit Frenzel ganz auf einer Linie zu sein scheint. Zumindest lässt dies sein zustimmendes Nicken erahnen, als Burg vorgibt, der neue Masterplan des Stadtrates ziehe Flächen in Betracht, die quer durch den historischen Schatz der Stadt liefen: „Da wird das Tafelsilber von Köln angesägt!“ In erster Linie jedoch geht es der Initiative darum, so viel Grünflächen wie möglich zu erhalten. Das Bauen auf dem inneren Grüngürtel in Nippes sei etwa aus Gründen des Klimaschutzes ein No-Go. Die Grünfläche schaffe durch Erhöhung der Verdunstung und einer daraus resultierenden Abkühlung Abhilfe angesichts der Hitzeinseln, die sich in Innenstädten bilden können.
Burgs Vorschlag stattdessen: ungebrauchtes Bahngelände zurückfordern und auf etwa durch Supermärkte versiegelte Flächen zurückgreifen. Allein durch eine Innenverdichtung der Stadt, etwa in Form von Aufstockungen, sei außerdem eine Wohnbedarfsdeckung von 10 bis 17 % möglich.
Ähnlich sehen das Stimmen aus dem Publikum: Das Problem des gewerblichen Leerstands sei etwa noch immer ungelöst. Geht nicht, entgegnet Müller. Nicht überall, wo Leerstand herrscht, kann gebaut werden. Flächen von der Bahn zurückfordern? Geht auch nicht. Das „Warum“ bleibt aufgrund des knappen Zeitrahmens, den sich die OrganisatorInnen gesetzt haben, manchmal auf der Strecke. Oder es ist für den Laien – wie oft zuvor an diesem Abend – in einer dunklen Wolke aus Expertenchinesisch nicht ohne weiteres herauszufiltern. „Partizipation“ ist ein Stichwort, das immer wieder fällt. Im Haus der Architektur ist das nicht immer so ganz einfach. Was spätestens um 20 Uhr jedoch jeder verstanden haben wird, und was auch Ina-Beate Fohlmeister vom Amt für Stadtentwicklung und Statistik bei ihrer einführenden Präsentation der Sachlage aussprach: „Wir stehen unter großem Druck!“
„Jeden Dienstag 19 Uhr – eine Stunde Baukultur“ | Haus der Architektur Köln, Josef-Haubrich-Hof | www.hda-koeln.de
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