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Alles bei(m) Alten

29. September 2021

Generationenkonflikt in Zeiten globaler Krisen – Teil 2: Leitartikel

Wie soll es weiter gehen, wenn es so nicht mehr weiter gehen kann? Wenn auf globaler Ebene die menschgemachte Klimakrise der Menschheit die Lebensgrundlage entzieht. Wenn, national betrachtet, in unserem Land der Anteil junger Menschen zu klein ist, um ihnen eine spürbare demokratische Mitbestimmung zu gewähren. Eine Mitbestimmung der Jüngeren, durch die sie ihre Zukunft ausrichten und absichern können. Wir leben in Zeiten drohender weiterer Krisen. Und wir sind schlecht darauf vorbereitet, denn in den letzten Jahrzehnten haben Gesellschaft und Politik vor allem eines gelernt: sich vor der eigenen Verantwortung wegzuducken. Zuallererst an sich zu denken. Beim Blick in den Spiegel, beim Gang in die Wahlkabine.

Mein SUV, mein Schwimmbecken, mein Weichspüler

Was wählt der Deutsche? Stabilität. Denn es geht ihm zu gut, und das soll bitte so bleiben. Wir sind hier schließlich in Deutschland. Und wenn die Klimakrise übers Land zieht, dann wird der Regionalpolitiker gefeuert. Dann ist einer schuld, und ich kann weitermachen. Mein SUV, mein Schwimmbecken, mein Weichspüler. Klar, die älteren Generationen haben unseren Wohlstand mit aufgebaut und ihn uns erhalten. Aber schon immer auf Kosten von Ländern und Menschen fernab unserer Grenzen. Die dadurch befeuerte Flüchtlingskrise bekamen wir, zuerst getragen von Empathie, dann von Moralverlust, auf ein wackliges Fundament gestemmt. Der nächsten Krise aber können wir nicht mehr ausweichen. Weil das Klima keine Grenzen kennt. Weil es auf Frontex pfeift.

Es ist davon auszugehen, dass die jungen „Fridays for Future“-Aktivisten von heute, wären sie 40 Jahre früher geboren worden, nicht anders gehandelt hätten als die Alten von heute dereinst. Der „zivilisierte“ Mensch ist ein Gewohnheitstier. Handlungsbedarf erkennt er erst, wenn die Krise im eigenen Keller steht. Kurzsichtig, träge und mutlos – der Volksvertreter tut es ihm gleich. Weil er vom Volk gewählt werden will, verspricht der Vertreter ihm Stabilität. Bzw. eine pervertierte Auslegung davon, die uns vermittelt: Alles bleibt beim Alten. Stabil. Nur: Bleibt alles beim Alten, werden wir in Zukunft vor allem eines vermissen: Stabilität.

Im Spiegel die Menschheit

Stabilität schießt sich selbst ins Bein, wenn sie den Weitblick vermissen lässt. Die Stabilität, auf die wir heutzutage setzen, ist nur noch ein Trug aus Kurzsichtigkeit, Trägheit und Mutlosigkeit. Ausbaden dürfen das die Nachfolgegenerationen – angefangen mit der Generation Z: die Geburtsjahrgänge aus den 90er Jahren, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung 10,1% ausmacht. So wenig, wie nie zuvor seit der statistischen Erfassung im Jahre 1950. Es geht um ihre Zukunft, ihre Sorge findet jedoch kaum Gehör. Weil das Groß der Wählerschaft auf Kurzsicht fährt. Lösungen? Martin Sonneborn (Titanic, Die Partei, Mitglied des Europäischen Parlaments) schlägt vor, das Wahlalter neu auszurichten: „Für Bürger gilt ein lebenslanges Wahlrecht; ausgenommen sind die ersten und letzten 16 Lebensjahre.“ Rabiateres liefert schon längst die Fiktion in Wort und Bild, beispielsweise die Romanverfilmung „Flucht ins 23. Jahrhundert“ von 1976, in dem jedem Bürger im Alter von 30 Jahren der Garaus gemacht wird.

Zum Glück nur Fiktion – doch eine Generationengerechtigkeit verlangt Veränderungen. Jetzt! Das aber fällt schwer in Zeiten, zu denen Gerechtigkeit und Freiheit zu absurd dehnbaren Begriffen verformt sind, über die sich heute selbst die dicksten Maden im Speck zum Opfer verklären können. Vielleicht ist ja ein erster Schritt getan, wenn man beim morgendlichen Blick in den Spiegel nicht bloß einen Menschen sieht, sondern die Menschheit.


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Hartmut Ernst

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