Tote Worte
Die Abendnachrichten brachten es wieder ins Bewusstsein: Irgendwer verlautbarte irgendwo, man rüste sich zum Kampf gegen den Terror oder erkläre einem Nachbar-Staat den Krieg. Warum, so fragte ich mich, rüstet man nicht stattdessen zur Deeskalation oder erklärt das universale Prinzip des Friedens? Weshalb braucht es Friedensverträge, die ein essentielles Lebensrecht wie den Kauf eines Gebrauchtwagens auf einem Blatt Papier abhandeln? Liegt es per se an der Sprache, an limitierten Wörtern, missverstandenen Satzzeichen oder – tiegründiger – an dem burnout-geschädigten Türsteher angelehnt an seinen brüchigen Barhocker unmittelbar vor dem Thalamus (filtert und trennt Informationen zur Vermeidung einer Überbelastung des Gehirns), der nicht mehr in der Lage ist, die Möglichkeiten, sprich Kapazitäten seines Arbeitgebers (des Kleinhirns) realistisch einzuschätzen? Dabei wäre es doch geradezu vorbildlich human, wenn nichts und niemand vom Betreten des ersehnten Zielorts ausgeschlossen wird. Die Pforte zur Erkenntnis stünde weit offen, egal ob für Majoritäten oder Minderheiten. Wahre Inklusion. Doch das macht uns Angst, denn weniger kann niemals mehr aber zu viel, so sagen die Experten, werde in jedem Fall ungesund sein.
Dilemma
Mensch/Un-
Mensch
Ich/Muss
Will/Werde
Habe
Krieg
Hatte
Frieden
Zeit
Wahn/Sinn
Liebe still
Alles geht dahin
In verlorenen Siegen
I/0
Mensch agiert innerhab seiner Ausdrucks- und Eindrucksmöglichkeiten. Dabei spielen Worte eine gewichtige Rolle. Der Anteil des Gesagten erscheint jedoch überproportional zum Gehörten und dessen Auseinandersetzung. Einer Gesellschaft, die vornehmlich mitteilungsbedürftige Sender und deren Botschaften in den Äther schickt, fehlen zunehmend die Empfänger. Hier besteht die Gefahr des Meinungsverlusts. Das reduziert die Wahrscheinlichkeit lösungsorientierter Debatten. Doch selbst das reicht nicht. Meinungsverschiedenheiten provozieren seit jeher das blutverliebte Ego. Gespräche sollten nicht nur, sie müssen den Frieden gewaltfrei verlautbaren (siehe Marshall Bertram Rosenberg: „Gewaltfreie Kommunikation“). Diese vielleicht größte Form der Freiheit wäre ertrebenswert, bildet aber weiterhin als gut gehütetes Geheimnis einen weißen Fleck in den Regieanweisungen der Talkshows, Demonstrationen, Kundgebungen und Konferenzen. Sonst reicht es nicht einmal beim Klassentreffen zur zweistündigen Eintracht zwischen den Teilnehmern. Das beginnt und endet mit der hart erkämpften Persönlichkeit (Substantiv, nominativ Singular, eine individuelle Eigenart beschreibend, natürlich subjektiv und von Narzissten nicht unbedingt in der Mehrzahl erwünscht). Im Detail steckt bekanntlich der Teufel. Ist der Raum dort so beengt, dass Gott sich hier unwohl fühlt? Jene Unausgewogenheit bietet Nährboden für Baudelaires „Blumen des Bösen“, die prächtig gedeihen und mit romantischem Pessimismus verführen. Hier blüht das Leid.
Mensch/Tier/Mensch
Darf ich also hinter „Frieden“, „Mein Land“, „richtig“, „falsch“, „weiß“, „behindert“, „schwarz“, „schwul“, „Christ“, „Mensch“, „Jude“, „Moslem“, „Auf zu den Waffen“, „Tier“ ein Fragezeichen setzen, oder muss es ein Ausruf sein? Neutralisiert sich die Bedeutung bei toleranter Wertschätzung der Komposita, bekämpfen sie sich gar? Lohnt es sich, dafür in die Schlacht zu ziehen? Verlieren vs. Gewinnen.
Darf es bitte etwas mehr Spielraum im Kosmos der Worte und Meinungen sein? Man habe die Zeichen kommen gesehen, sagen die Leute und wundern sich nicht. Verlernt oder nie gelernt, das Wunder hat es satt, im Unklaren zu überleben, im verschmähten Sprachschatz glanzlos auf der Ersatzbank dahinzuvegetieren und schlicht nicht gebraucht zu werden. Die Hoffnung wird zur reinen Aneinandereihung von Lettern, wenn sie nicht mit Emotionen gefüllt wird. Wir lernen das Sprechen, Schreiben, Rechnen, abzuwägen, bis wir nichts mehr spüren. Wie fühlt sich diese Gleichung an? Doch Gretchens allerletzte Frage lautet: „Willst du oder willst du nicht?“ Die Antwort wird mit dem verspäteteten Regionalzug auf Gleis 741 in den frühen Morgenstunden erwartet. „?“: Am Schluss ein angedeutetes halbes Herz vergeblich wartend, schwebend über unscheinbarem Abgrundpunkt.
Blut/Wein
Krieg oder Frieden
Ja/Nein
Schalte ein/Lösche aus
Entscheide jetzt/bald/nie
Sprich/Schweig/Schreib/Redigiere
Entscheidungen getroffen/vermieden
Benetze den Verstand mit Blut/Wein
Erkenne dich als Gigant/Laus
Im Gewand der Schizophrenie
Berichte/Fantasiere
Von deinem Fixstern angestrahlt oder ausgelacht
Entscheidung final um den Verstand gebracht
Im Anfang war das Wort (?)
Memento, die Apokalpyse ist wahre Vision. Sie wächst täglich in mir, dir, uns als Bildnis und Wort. Ist Wachstum denn ein Vergehen? Fakten fressen Fieberträume. Hier sind blutende Uhrmacher am Werk. Ihr Auftrag: „Konstruiere Endzeit. Verlässlich, aber erschwinglich!“ Die Käufer: Wir.
Das friedliche Land kennt keine Gebete. Seine Bewohner entließen Gott wegen seiner Schwächen. Sie wählten Führer. Die Folgsamen gleichen Vögeln. Immer auf der Flucht mit Schwingen brav gestutzt, Angst in den Augen – eternal fear. Weil das Fliegen unter einem faulenden Dach nichts nutzt. Nach oben, unten, seitwärts: Stacheldraht. Die Federn sind schwer wie Blei von betörenden Versen. Ein endloser Refrain im entzündeten Schrei: „Wir/Immer wieder/Wir?“
DEUTSCHLAND OHNE GRÖSSENWAHN - Aktiv im Thema
koelnerfriedensforum.org | Seit über 25 Jahren organisiert das Forum Bündnisse, Bildungsveranstaltungen und öffentliche Aufmerksamkeit zu den Gefahren von Krieg und Militarisierung und für Abrüstung.
museen.nuernberg.de/memorium-nuernberger-prozesse | Im Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalasts fanden die Prozesse gegen die Hauptverbrecher des Naziregimes statt. Der Saal ist Teil der umfangreichen Dauerausstellung, die die Prozesse und ihre Folgen dokumentiert.
topographie.de/topographie-des-terrors | Seit fast 35 Jahren dokumentiert und problematisiert die Stiftung in Berlin den nationalsozialistischen Terror.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Macht ja, Verantwortung nein
Intro – Deutschland ohne Größenwahn
Nazi-Kontinuum BRD
Der Begriff „Stunde Null“ kaschiert den nicht vollzogenen Bruch mit der NS-Zeit – Teil 1: Leitartikel
„Ein Genozid vor dem Genozid“
Historiker Jürgen Zimmerer über Deutschlands Aufarbeitung der NS-Diktatur – Teil 1: Interview
Für den Frieden kämpfen
Die Deutsche Friedensgesellschaft setzt auf Gewaltlosigkeit und weltweite Gerechtigkeit – Teil 1: Lokale Initiativen
Alles bei(m) Alten
Generationenkonflikt in Zeiten globaler Krisen – Teil 2: Leitartikel
„Zur Lösung braucht es auch die ältere Generation“
Der Kultursoziologe Clemens Albrecht über den Generationenkonflikt in Deutschland – Teil 2: Interview
Wem gehört die Zukunft?
Die Fridays-for-Future-Ortsgruppe in Essen – Teil 2: Lokale Initiativen
„Deutschland ist gespalten“
Die Sozialpsychologin Beate Küpper über gesellschaftliche Ausgrenzung und Aggression – Teil 3: Interview
Kultur von allen, für alle
Utopiastadt im Wuppertaler Quartier Mirke – Teil 3: Lokale Initiativen
Neue Geschichten, alte Schatten
Die Niederlande wagen den kritischen Blick auf die blinden Flecken ihrer kolonialen Vergangenheit – Europa-Vorbild: Niederlande
Teutonisches Kopfnicken
Auf der Suche nach einer Identität zwischen Verbrechen und Klischees – Glosse
Aus Alt mach Neu
Teil 1: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 2: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
Glücklich erinnert
Teil 3: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Friede den Ozeanen
Teil 1: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 2: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 1: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 2: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime