Schlammschlacht, Bierregen, im Moshpit durchhalten bis zum Morgengrauen – das gehört zu einem ordentlichen Rockfestival wie der knisternde Vinylgenuss zum heimischen Klangerlebnis. Eben – es ist ok, muss aber nicht unbedingt sein. Wenn man an die vielen erwachsen gewordenen Musik-Connaisseure denkt, ist ein etwas gediegenerer Rahmen für ein Musikfestival eigentlich naheliegend, und dennoch recht rar. Doch die klassischen Konzertsäle öffnen sich langsam der Popmusik – so die Kölner Philharmonie, wo in den letzten Jahren beispielsweise The Notwist, Beirut, Gonzales oder Soap & Skin aufgespielt haben. Ende letzten Jahres fand in einem alten Ringkino in Köln auch das bestuhlte Weekend-Festival statt, dessen Besucher noch heute glänzende Augen haben, wenn sie sich an die so andersartige Atmosphäre der Konzerte von Thurston Moore oder Jochen Distelmeyer erinnern. Kurz zuvor hatte Distelmeyer neben Nouvelle Vague und anderen bei der ersten Ausgabe des Düsseldorfer Festivals New Fall bereits die Gelegenheit, seine Musik in ähnlich entspannter Atmosphäre zu testen. Das Festival bespielte die Tonhalle und den Robert Schumann Saal im Museum Kunstpalast – zwei Orte, die sich nicht nur durch ihren klassisch-eleganten Stil, sondern auch durch ihre exzellente Akustik auszeichnen
Denn das New Fall Festival machen die Veranstalter nach eigenen Worten „für ein erwachsenes Publikum, das den traditionellen Rockshow-Ritualen – matschiger Sound, Hauptband erst kurz vor Mitternacht, muffige Hallen – entwachsen ist“. Mit 4.500 Besuchern beim Debüt trafen sie offensichtlich einen Nerv, und so geht das Festival vom 3. bis zum 7. Oktober in die zweite Runde. Für die Eröffnung am 3. Oktober sind die Konzertsaal-erprobten Münchner Indie-Helden The Notwist gebucht, die sich nach über 20 Jahren Bandgeschichte – von den Hardcore-Haudegen der frühen 90er Jahre zu den Klangforschern der Gegenwart – sicher freuen, immer mal wieder in einem solchen Rahmen ihre komplexe Musik vorzuführen. Als Support spielt die estnische Popüberraschung Ewert and the Two Dragons. Am 4. Oktober folgt ein Konzert mit den kammermusikalischen Songs von Get well soon, die ihr neues Album vorstellen. (Vorband: Dear Reader). Das Duo alva noto & Ryuichi Sakamoto spielt das zweite Konzert des Abends: Sakamoto, der Ende der 70er Jahre mit dem Yellow Magic Orchestra, dem japanischen Pendant zum Düsseldorfer Kraftwerk, berühmt wurde, lässt seine weichen Pianotupfer in das kristallklare digitale Klanggerüst von Alva Noto alias Carsten Nicolai tropfen. Ein Klangerlebnis, das Raum und Ruhe braucht. Bei New Fall könnte das klappen.
Am 5.10. spielen die Dänen When Saints Go Machine, die ihre Fans mit zartem Indietronic-Sound und einem Falsettgesang, der an Erlend Øye erinnert, begeistern. Why?, als Soloprojekt von Yoni Wolf von Anticon gegründet, ist längst zur Band gewachsen und hat mit seinem früheren Hip Hop nichts mehr zu tun. Stattdessen hört man flockige, aber komplexe Popsongs, in die gerne ungewöhnliche Sounds eingebaut sind. Das zweite Konzert des Abends präsentiert das Mando Diao-Seitenprojekt Caligola und den dem Dubstep entwachsenen Electro-Popper Rudi Zygadlo. Am 6.10. gibt Dillon ihre zarten, elektronischen Songs zum Besten. Den Support macht das Düsseldorfer Elektropop-Trio Stabil Elite. Die Funktion des Rausschmeißers übernehmen die Tindersticks, auch wenn der Begriff als Beschreibung für ihre ruhigen Songs und den neuerdings auch mit souligen Anleihen gewürzten Sound komplett unangemessen ist. Support kommt von The Black Atlantic. Ein würdevoller Ausklang eines anspruchsvollen Festivals.
New Fall Festival I 3.-7.10.I Tonhalle Düsseldorf, Robert Schumann Saal I <www.new-fall-festival.de
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