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Abramović, Choreografin Lynsey Peisinger und Kuratorin Susanne Kleine (v.l.n.r.) bei der Pressekonferenz in der Bundeskunsthalle
Foto: Barbara Slotta

Reise durch ein ganzes Leben

20. April 2018

Pressekonferenz von Marina Abramovićs „The Cleaner“ in Bonn – Kunst 04/18

Es wird still, als Marina Abramović die Treppen des großen Saals der Bonner Bundeskunsthalle hinunter schreitet. In schwarz gekleidet wird sie von einer Traube von Neugierigen, Jüngern, Pressevertretern und Museumsmitarbeitern begleitet. Einen Personenkult zu leugnen, wäre bereits hier – noch vor offiziellem Beginn – hinfällig. Während sich Abramović langsam ihren Weg auf die Bühne bahnt, erkennt man einmal mehr denn je, dass Bonn einst Hauptstadt war: Hohe Persönlichkeiten werden hier noch immer herrschaftlich empfangen, einzig mit dem kleinen Unterschied, dass es keine Politiker mehr sind, die nun für Aufsehen sorgen, sondern Künstler. Was für eine schöne, was für eine gelungene Metamorphose.

Dass es sich bei Marina Abramović um einen international gefeierten Star der Kunstszene handelt, ist nicht nur an der Größe des Raums erkennbar, die der wachsenden Zuschauerzahl angemessen ist, sondern lässt sich auch an den Kameras und Objektiven ablesen, die die Reihen in Massen säumen. Sogar einen Lifestream hat die Kunsthalle eingerichtet und so erinnert die Szenerie beinahe an einen Ted Talk, wäre da nicht das riesige auf einen Screen projizierte Ausstellungsplakat, das Abramović überlebensgroß neben dem Titel der Ausstellung zeigt: „The Cleaner“, ein Titel, für den glücklicherweise niemand eine Übersetzung fand. Ein Titel, der zudem nicht treffender hätte gewählt werden können, umfasst die Ausstellung doch die maßgeblichen Werke aus Abramovićs Schaffen, um dabei akribisch aufzuzeichnen, wie die 1946 in Belgrad geborene Tochter zweier Partisanen die Kunstwelt aufräumte, revolutionierte und sich gleichzeitig selbst befreite.

Als eine von vier Stationen, reiht sich die Bundeskunsthalle mit „The Cleaner“ ein in eine namenhafte Riege von europäischen Museen, die seit Anfang 2017 die Künstlerin Abramović und ihr Leben ausstellen: Zuvor im Stockholmer Moderna Museet sowie im Louisiana Museum of Modern Art im dänischen Humlebæk gezeigt, wandert die Werkschau ab Ende August in den Palazzo Strozzi in Florenz. Sichtlich stolz ist man daher am Tag der Pressekonferenz in Bonn, denn nicht nur diese hochkarätigen Namen schmeicheln. Nein – the artist is present.

Während Kuratorin Susanne Kleine die wesentlichen Stationen in Abramovićs Leben und somit wichtige Einblicke in die persönliche wie konzeptuelle Menschwerdung ihrer Kunst gibt, sitzt Abramović still in der Mitte der sie Umgebenden und hält die Augen geschlossen. Sie lächelt kurz, als Kleine ins Englische ausweicht und erklärt: „I am telling the story of the washing machine.“

„The story of the washing machine“ ist der Beginn von Abramovićs Leidensgeschichte, die ihr Jahre später einen angestammten Platz in der Kunstwelt einholen wird, ja, die genau genommen existenziell für ihr Leben ist: Als sie sich im Kindesalter die Hände in der elterlichen Waschmaschine einklemmt und auch diejenigen, die zur Hilfe eilen, ihr nicht helfen können, beschließt Abramović, den Schmerz zu ertragen – er wird zum steten Element ihrer Kunst.

Als Schülerin der Belgrader Kunstakademie verfolgt sie zunächst noch die gegenständliche Malerei, ab den 1970er Jahren hingegen beginnt sie, zu performen; ihre Werke sind radikal und körperbetont, zugleich schreckt sie nicht vor Verletzungen oder gesellschaftlichen Tabuisierungen zurück. Ob gemeinsam mit ihrem Partner Ulay oder allein nach der Trennung Ende der 1980er, ob auf einem Berg aus Knochen sitzend, putzend, singend auf der Biennale oder ausharrend im MoMa – in ihren Werken ist es Abramović zum einen gelungen, Grenzen auszuhalten und zu überschreiten und zugleich in immer neuen Kontexten die Frage nach dem Ertragbaren zu stellen.

Von Anekdoten und Meilensteinen gesäumt, endet Kleine ihren Rundgang durch Abramovićs Leben und die Ausstellung, die streng chronologisch dessen Ablauf folgt. Erst als Intendant Rein Wolfs Abramović das Mikro reicht, öffnet diese die Augen, erhebt sich und beginnt scheinbar beiläufig ein Gespräch mit dem Publikum; die anfängliche Distanz weicht binnen weniger Sekunden, der Respekt vor ihrer Arbeit bleibt. 

Vor allem auf die Re-Performances im Zuge der Ausstellung sei sie stolz. Ausgewählte Stücke ihrer Karriere werden im Sommer über in Bonn zu sehen sein – jedoch nicht in ihrer eigenen Darstellung. „You do not age genuinely“, gibt sie zu und ergänzt: „My next performance will be 2020.“ Um die Tragweite ihres Werks in der Ausstellung zu verdeutlichen, wurden stattdessen junge Performance-Künstler in aufwändigen Trainings mit den einzelnen Werken vertraut gemacht. „You know“, scherzt Abramović, „there will be re-performances when I am dead, so why not do it while I am still alive?“

Unter den Re-Performances finden sich Klassiker wie „Imponderabilia“, „Art must be beautiful, the artist must be beautiful“ oder „Mutual Gaze“, von denen letztere ein Beispiel einer partizipativen Performance ist, an der die Teilnahme des Publikums wesentlich ist. Gerade die Bedeutung der Zuschauer betont Abramović in ihrem kleinen Vortrag immer wieder: „The public is my work“, endet sie schließlich und Dankbarkeit liegt in ihrer Stimme.

An diesem Punkt könnte die Pressekonferenz zu Ende gehen – eine Künstlerin von Weltruhm ist anwesend, plaudert genüsslich über ihre Kunst und das Älterwerden, eine fabelhafte Ausstellung feiert ihre Eröffnung, doch es ist noch Zeit und Platz für eine letzte Sensation: Denn Ulay ist da. Ulay, mit dem Abramović eine zwölfjährige Beziehung führte, mit dem sie viele der genannten Performances konzipierte und darstellte, mit dem sie Grenzen überschritt und von dem sie sich auf der Chinesischen Mauer trennte. Ulay, den sie eine Zeit lang nur vor Gericht sah und mit dem sie sich schließlich versöhnte. Ulay, der zu einer Retrospektive ihrer Kunst genauso wie zu ihrem Leben gehört. Abramović bittet ihn auf die Bühne und es tut sowohl dem Publikum als auch den beiden Künstlern gut, zumindest für einen kurzen Moment wieder vereint zu sein.

Ulay und Abramović, Foto: Barbara Slotta

„There are so many books about Marina“, sagt Ulay, „but there is still one I would like to do with her: anecdotes.“ Anekdoten, denn davon haben sie unzählige. „Let’s do it“, entgegnet Abramović und wer von Hollywood verwöhnt ist, hofft für einen kurzen Augenblick auf das ultimative Happy End – wäre Schmerz nicht ein wesentlicher Bestandteil in Abramovićs Arbeit. Die Fragerunde im Anschluss wird im Angesicht des Gipfeltreffens der zwei Kunstgiganten zweitrangig; dabei entpuppt sich das Publikum als Kenner von Abramovićs Kunst, ebenso als Kritiker – und als ungeduldig. Auf ihre nächsten Arbeiten angesprochen, entgegnet Abramović: „Let’s talk about the work when it’s there.“

Nach einer knappen Stunde enden Pressekonferenz und Lifestream, Besucher strömen durch die breiten Flügeltüren in die Ausstellung und betrachten die Arbeiten, die bereits sind, erkennen und begreifen Abramovićs Reise durch die Jahrzehnte. Dabei scheint es, dass je länger die Begegnung mit ihr im großen Saal der Kunsthalle zurück liegt, desto eindrucksvoller wirkt ihre Präsenz im Nachhinein – auch wenn sie dieses Mal nur erzählte und scherzte, und gar nicht performte.

Marina Abramović: The Cleaner | bis 12.8. | Bundeskunsthalle Bonn | www.bundeskunsthalle.de

Barbara Slotta

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