Die wenigsten Beziehungen halten ewig. Meist trifft irgendwann ein Partner die Entscheidung, dass es nicht mehr geht und beendet die Beziehung. Das ist in der Regel für keinen der Beteiligten eine angenehme Erfahrung. Eine neue Qualität entsteht jedoch, wenn eben das „Schlussmachen” ausbleibt: So gibt es auch den Fall, dass sich einer der beiden Partner aus der Affäre zieht, indem er scheinbar ohne Anlass den Kontakt einstellt und auch auf Telefonanrufe oder Textnachrichten des Verlassenen nicht mehr reagiert. Hierfür ist eine eigene Bezeichnung aufgekommen, nämlich Ghosting.
Die Bezeichnung und das Phänomen selbst haben vor allem durch das Aufkommen der Dating-Apps einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht. Tinder und Co. haben die Partnersuche schneller und bequemer gemacht, aber auch unverbindlicher. Wenn nach ein paar Treffen für einen der beiden das Herzklopfen ausbleibt, sieht man sich nach dem nächsten Match um – manch einer hält es dann nicht mehr für nötig, diese Entscheidung seinem Gegenüber mitzuteilen. Den Ghostern geht es vor allem um die Vermeidung von eigenem emotionalen Stress, und sie blenden die Gefühle der anderen aus. Dass es kaum andere soziale Verbindungen zwischen den Partnern gibt, wie etwa einen gemeinsamen Freundeskreis, macht ihnen die Sache leicht. Doch nicht nur in diesem frühen Stadium kommt Ghosting vor. Auch, wenn sich eine Beziehung bereits über Monate oder gar Jahre entwickelt hat, kommt es vor, dass einer der Partner ohne Vorwarnung von der Bildfläche verschwindet.
Für Betroffene ist die Erfahrung niederschmetternd, wie auch Carsten Schneider vom Nightline Köln e.V. bestätigen kann. Der Verein betreibt einen Zuhör- und Infotelefondienst, der von Studierenden für Studierende betrieben wird. „Beziehungsprobleme und Trennungen gehören zu den zentralen Themen, wegen denen wir angerufen werden”, sagt er. Auch Ghosting-Opfer haben sich schon bei ihm gemeldet. „Trauer und Niedergeschlagenheit sind immer die Folge einer Trennung. Wenn sich derjenige, von dem die Trennung ausgeht, jedoch nicht erklärt, kommt beim Verlassenen noch Unverständnis hinzu.“
Ghosting schafft eine Situation, die für die Betroffenen nicht eindeutig zu interpretieren ist und ihnen damit die Möglichkeit nimmt, angemessen zu reagieren. Sie schwanken zwischen Ärger und Sorge, denn zumindest anfangs liegt die Möglichkeit nahe, dass dem untergetauchten Partner etwas zugestoßen ist. Wenn sich schließlich herausstellt, dass der geliebte Mensch den Betroffenen aus seinem Leben gestrichen hat, sind vor allem die Missachtung und Respektlosigkeit dieses Verhaltens ein schwerer Schlag für die Betroffenen. „Nicht nur das Ende der Beziehung wird als verletzend empfunden, es negiert auch die vorangegangene Beziehung. Betroffene fragen sich, wie viel diese überhaupt wert war”, sagt Richard Jost, Leiter der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle Wuppertal.
Betroffene neigen zu verstärkten Selbstzweifeln und misstrauen der eigenen Menschenkenntnis, da sie den ehemaligen Partner und die gemeinsame Beziehung womöglich völlig falsch eingeschätzt haben. Die Schmerzhaftigkeit der Erfahrung ist keine Einbildung, denn Untersuchungen zufolge aktiviert soziale Zurückweisung die gleichen Hirnregionen wie physischer Schmerz. Betroffene sollten sich daher bewusst machen, dass das Verhalten ihres Gegenübers nichts über sie selbst aussagt, dafür umso mehr über den Ghoster: Dieser sendet die klare Botschaft, dass er zu feige ist, eine Beziehung angemessen zu beenden.
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