Die Kunst befindet sich in einem Zustand feinnerviger Bewegtheit. Die Zeichnungen, Bilder, Assemblagen und Objekte von Mary Bauermeister scheinen zu vibrieren. Sie beruhen auf Linien und Konturen, die sich wie Wellenbewegungen fortsetzen. Mary Bauermeister legt Tuschlineamente oder Naturmaterialien (Steine, Bienenwaben) und Artefakte (Holzkugeln, Glaskugeln, Bündel Trinkhalme) in Ausschließlichkeit um- und übereinander. Vor allem bei den s/w-Zeichnungen erinnert die Interaktion gekrümmter Linien an die Jahresringe der Bäume. Die Gebilde scheinen sich zu wölben und lassen an zarte Blütenblätter denken. Und sie lassen sich zumindest partienweise auf von Hand notierte Schrift zurückführen.
Überhaupt Schrift, geschriebener Text: Dieser bildet einen Schlüssel zum Werk von Mary Baumeister. Und er steht nun im Mittelpunkt der Ausstellung im Kunstmuseum Villa Zanders. Entsprechend zum Sammlungsschwerpunkt liegt der Akzent auf den Arbeiten auf Papier – besonders den Zeichnungen – und liefert noch einen Überblick über das gesamte Werk seit seinen Anfängen Mitte der 1950er Jahre. Schon in den frühen 1960er Jahren liegt vieles von dem vor, was auch künftig eine Rolle spielt. Mary Bauermeister arbeitet bereits mit Linsen und Prismen. Vor allem in den frühen Jahren entwickelt sie Objektkästen mit überbordenden Arrangements, bei denen Malerei auf Zeichnung und Ornament auf Schrift treffen. Die Werke richten sich an das Vorstellungsvermögen und die Fantasie.
Mary Bauermeister wurde 1934 in Frankfurt am Main geboren. Sie kommt schon früh mit der Musik in Kontakt, die ihre Karriere prägen wird – nicht nur, weil sie den Komponisten Karlheinz Stockhausen heiratet und 1960-62 in ihrem Atelier in Köln Konzerte mit der internationalen Musikavantgarde veranstaltet. Vielmehr lässt sie sich selbst mit ihrem Werk dem erweiterten Kreis der Fluxus-Bewegung zurechnen, die das Alltägliche in ihre Aktionen einbezog und ein Faible für Musik und dessen Aufführungspraxis hatte. Die Zeichnungen von Mary Bauermeister erinnern an Partituren und wirken, zumal im Einbezug von Schrift, wie Handlungsanweisungen.
Text, Schrift – säuberlich von Hand notiert, aber auch mit der Schreibmaschine getippt – wird bei Bauermeister zur Zeichnung, etwa wenn sie den Text noch in die größere Ordnung einzelner blattfüllender Buchstaben einbindet oder wenn sie auf Plexiglasscheiben schreibt, die auch seitenverkehrt zu sehen sind und nun erst recht zur „reinen“ Zeichnung werden. Die Linsen sind auf Worte ausgerichtet und heben einzelne Partien hervor, sie schaffen Bedeutung und verzerren die Stege zur abstrakten Zeichnung. Bauermeister verbindet Spirituelles mit der brodelnden Unruhe des Großstädtischen, verknüpft nüchterne Bestandsaufnahme mit Erzählerischem und schließt dabei an die Kunststile der Pop und Op Art und von ZERO an.
Aufschlussreich ist ihre Bibliothek im Haus in Rösrath. Bauermeister arbeitet interdisziplinär. Petra Oelschlägel listet die Bereiche ihrer Literatur im Ausstellungskatalog auf: „Märchen und Mythen, Astrologie und Astrophysik, Geomantie und Esoterik, fraktale Wissenschaften, Biologie und Politik“. Die Naturerfahrung führt Bauermeister auch zu Land-Art-Projekten und Gartengestaltungen mit Kristallen und Basaltblöcken und Ordnungen der Steine zu Spiralen. Bei ihr steckt hinter Chaos, flirrendem Detailreichtum und der Einordnung in Großformen ein System. Bereits 1962 wurde ihr Werk im Stedelijkmuseum Amsterdam vorgestellt. Es folgten weitere Ausstellungen in holländischen und deutschen Häusern, ehe sich welche in New York anschlossen: der Stadt, in der sie von 1962 bis 1972 lebte. Zeitweilig war es relativ ruhig um Bauermeister, die aber immer künstlerisch gearbeitet hat. 2004 fand die „Wiederentdeckung“ durch das Museum Ludwig in Köln anlässlich ihres 70. Geburtstages statt und seitdem ist Mary Bauermeister erst recht „da“. Wie frisch sich ihr Werk gehalten hat, zeigt jetzt die Ausstellung in Bergisch Gladbach.
Mary Bauermeister – Zeichen, Worte, Universen | bis 8.4. | Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach | 0202 14 23 34
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