Die Friedenskirche in Köln-Ehrenfeld war ausverkauft. Wahrscheinlich auch ihretwegen: Dame Emma Kirkby. Ihr Gesicht ist auf dem Plakat der diesjährigen Ausgabe des Kölner Fest für Alte Musik abgebildet. Die 69-Jährige wurde als Mitwirkende groß angekündigt, hat beim Festival drei Konzerte gegeben und ist eine Sängerin, bei der es sich immer lohnt, zuzuhören, weil sie viel zu sagen hat. Trotzdem war sie an diesem Abend nicht der Mittelpunkt des Geschehens, sondern Teil des Chores, der aus verschiedenen Solisten und den Sängern des Zamus-Vocalconsort zusammengesetzt war. Mal sangen sie in kleiner Besetzung oder alle gemeinsam. Geleitet wurden sie dabei von Joachim Diessner.
Als Emma Kirkby in einer Reihe mit den anderen Sängern auf die Bühne geht, ist es nicht, als würde hier eine der größten Sängerinnen der Alten Musik laufen, die von Queen Elisabeth II. den Ritterschlag erhielt, sondern als wäre sie deine Patentante. Ihre Eleganz und ihre Zurückhaltung sind bewundernswert, ihre Stimme ist es auch. Im ersten Teil des Konzertes, ihr zweites und letztes beim diesjährigen Festival, wurden verschiedene geistliche Werke von Heinrich Schütz und anderen Komponisten aus der Zeit gesungen, den zweiten Teil bildeten Schütz‘ „Musikalische Exequien“. Dabei war Kirkby nicht die einzige Solistin, es sangen neben anderen auch Bethany Seymour und Fabian Strotmann. Es war wunderbar ihnen bei ihren Solostellen zuzuhören. Und die hohe Qualität der einzelnen Solisten ließ einen sehr genau aufeinander abgestimmten und reichen Gesamtklang entstehen.
Die Stücke widmeten sich vor allem dem Thema Krieg und Frieden und stammten von Komponisten aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Sie erzählen von großer Not und noch mehr von der Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod. Das Programmheft in den Händen, erscheint es zäh, dem Text zu der Musik zu folgen, da er so weit weg erscheint von Kölner Lebensrealitäten heute. „Es ist allhier ein Jammertal, Angst, Not und Trübsal überall, des Bleibens ist ein kleine Zeit, voller Mühseligkeit, und wers bedenkt, ist immer im Streit”, sagt Schütz etwa in den „Musikalischen Exequien“. Die Texte der Stücke zeichnen einerseits düstere und schwere Bilder, aber erzählen auch von der Hoffnung auf Gottes Beistand durch den Glauben. Und jetzt die große Überraschung: Die Musik ist gar kein Sog in die Tiefe, sondern sie predigt, oder besser, sie verkörpert die pure Zuversicht darauf, dass sich das Hoffen auf das Jenseits auch wirklich lohnt. Vielleicht konnte gerade in diesem damaligen Jammertal die Musik so tröstend und überzeugt klingen. Für den musikalischen Leiter Joachim Diessner ist das „die schönste Musik“, die er sich vorstellen könne.
Lange Reise, kurzer Sinn
Ein Experiment, das hohe Erwartungen provoziert, etwa: die Gräben der christlichen und der muslimischen Tradition überwinden oder die Alte Musik in die Gegenwart holen. Jasmin Toccata – am vergangenen Donnerstag in den Balloni-Hallen – sind der Cembalist Jean Rondeau, der Lautenist Thomas Dunford und der Percussionist Keyvan Chemirani. Sie haben gemeinsam, dass sie aus Frankreich kommen, wirken ansonsten aber höchst verschieden. Rondeau ist der Shootingstar am Cembalo, der mit seinem Haarknoten und dem Rauschebart in den hippen Hinterhofcafés von Köln-Ehrenfeld kaum auffallen würde. Chemirani, der Älteste im Trio, ist in einer Musikerfamilie groß geworden, hat Mathematik studiert und spielt mit seinem Vater und seinem Bruder im Trio Chemirani persische Kunstmusik. Dunford wurde von der BBC als „Eric Clapton an der Laute” betitelt. Bei der Zugabe wird er tatsächlich wie ein barocker Singer-Songwriter zu seiner Laute John Dowlands „Come Again“ singen. Ansonsten wirkt er in seinem Anzug als könne er auch bei den jungen Beatles mitsingen.
So interkulturell erwartungsschwer es hier sein könnte, so lässig und fröhlich ist es. Das Bier wird auch am Platz getrunken von überwiegend jungen Leuten im Publikum und die Musik des Abends würde auch einer Tanzfläche gut stehen.
Keyvan Chemirani kam mit der Idee für das Projekt Jasmin Toccata auf die beiden anderen Musiker zu. Fast alle Musik an diesem Abend sind Kompositionen von ihm, ein kleiner Rest des Programms besteht aus barocker Musik: Chaconnen, Toccaten und Tänze. Das Persische und Barocke wird eng verwoben. Aus Chemiranis Komposition am persischen Hackbrett Santur entwickelt sich eine barocke Chaconne für die Laute oder Henry Purcells „Music for a While“ wird zu einem Medley aus verschiedenen Melodien seiner Werke. Die Musiker improvisieren die ganze Zeit. Dabei dienen die barocken Formen, die persischen Melodien, Tonarten oder Rhythmen als das Material, mit dem sie arbeiten, aber sind nicht das, was sie formgetreu abbilden wollen. Spielerisch und erfindungsreich experimentieren sie mit der Idee der Verbindung von persischen und barocken Elementen. Das Ganze erinnert an den Straßenverkehr in Mumbai oder Mexikostadt. Gerade weil es keine so päpstlich eingehaltenen Richtlinien gibt, sondern ganz viel Improvisation, muss jeder Beteiligte besonders aufmerksam sein, vielleicht sogar viel mehr als sonst. Die Musiker hören deshalb ganz genau aufeinander.
Auch das Publikum verfolgt diese improvisierten Feinheiten und hält die Spannung bis zum Ende aus. Sie rufen und pfeifen begeistert, es gibt drei Zugaben. All das scheinen die Musiker sichtlich zu genießen. Ihre ganze Haltung vermittelt dabei nicht, dass sie hier Großes schaffen und bedeutsam sind, sondern dass sie etwas tun, das sie lieben. Jeder für sich an seinem Instrument, das er extrem gut beherrscht. Chemirani demonstriert das in seinem ausgedehnten Zarb-Solo in „Music for a While”. Das Instrument selbst wirkt simpel: etwas Holz mit Kleber und einer straff gespannten Tierhaut. Aber der Klang ist vielfältig, direkt, sogar zart. Chemirani klopft, klackt und streicht mit technisch höchster Präzision und kreativer, freier Gestaltung.
Die Musiker zeigten in dem Konzert, dass der scheinbar lange Weg vom Barock zur persischen Kunstmusik recht kurz ist.
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