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Heinz Strunk
Foto: Dennis Dirksen

Wie ein Teebeutel bei Nasenbluten

10. Oktober 2018

Heinz Strunk mit „Das Teemännchen“ im Gloria – Literatur 10/18

Heinz Strunk ist wieder zu Gast und hat den Teemann mitgebracht. „Das Teemännchen“, so lautet der Titel des neuen Erzählbands, aus dem Strunk am vergangenen Sonntag, beim zweiten Termin einer langen Tour im Gloria-Theater vorlas. Er ist der Mann mit dem Blick für das tragisch Komische, berichtet mit viel Liebe zum Detail über das alltägliche Elend des kleinen Mannes und die Verzweiflung der hässlichen Fetten. Er beschreibt mit Hingabe die Gestalten, die die Oberfläche der Gesellschaft als Versager, Verlierer, Nulpe oder Waschlappen titulieren. Andere Geschichten wiederum grenzen an „geschmacklosen Wahnsinn“, so sagt eine Besucherin der Lesung. Aber sie sagt dies mit einem Glänzen der Bewunderung in den Augen. Strunk erzählt über Lebensläufe, die einen depressiv machen könnten, würde man dem Ansturm der Verzweiflung nicht mit einer Portion gepfeffertem Humor vors Schienbein treten. Denn sie sind die Realität in jeder Eckkneipe oder nachts an der Autobahntankstelle.

Dieses komödiantische Austreten tat er auch schon als Teil des Comedy-Dreigestirns Studio Braun. Sein literarisches Schaffen, das auch als herrlich-ehrliche Selbsttherapie gedeutet werden darf, fing mit „Fleisch ist mein Gemüse“ an. In 2016 entführte Strunk uns dann mit dem meisterlich-düsteren Roman der „Der goldene Handschuh“ in die horrible Welt des Frauenmörders Fritz Honka. Dort gab es weitaus weniger zu lachen als in der Welt seiner neuen Protagonisten, die am hinteren Ende der letzten Straße des Vororts in einer Mietwohnung mit vergilbter Tapete wohnen und dort womöglich noch im Keller arbeiten müssen.

So wie die einstige Schönheitskönigin. Nach einer Trennung geht sie zurück zu den Eltern. Es soll ja nicht für lange sein. Nur mal kurz möchte die Schöne dann auch im „Borstengrilleck“ aushelfen. Doch dann heißt es: Endstation Pommesbude. Sie bleibt kleben, wie so viele im Leben. Das Fett verstopft ihre zarten Poren und die Schönheit löst sich im Dampf der Fritteuse auf. Als die Frustkilos sich sammeln, wie Fliegen auf einem Toten, wird sie sogar zu hässlich für die Arbeit an der Fritten-Theke. Eine unzumutbare Gestalt, von Figur kann keine Rede mehr sein. Wortlos lässt Strunk sie im Keller die Frikadellen vorbraten und die Teller mit Tomaten Achteln und Petersilie belegen.

Es ist seine große Kunst, diese schmerzfreien Schicksale in wohl portionierten Kurzgeschichten mit verbaler Petersilie und einem Remouladen-Klecks, wie aus dem ranzigen Sahnebeutel garniert zu servieren. „Mein Feldzug, meine Lebensaufgabe ist es, die das Land überziehende Matrix der Scheiße zu perforieren“, sagt Strunk. Und es gelingt ihm. Auch wenn er etwas schnell und haspelig liest – mancher Witz geht da verloren. Ihm verzeiht man es. Denn das ist er. Das ist live.

Zwischen den Texten gibt es Anekdötchen und Harburger Weisheiten: „Ein Reiter ohne Pferd ist auch nur ein Mensch.“ In der Pause erzählt Tobias, dass er Strunk-Lesungs-Wiederholungstäter ist. Beim letzten Mal gab es eine Widmung in sein Buch. „Neger sind die Nutten Bulgariens“. Tobias lacht. Weiter geht es mit den „Figuren, die beim Tatort als erste sterben“, in diesem Fall mit einer Hinrichtungs-Story. Mann an Windmühle gekettet – 15 Umdrehungen pro Minute. Es scheint als entdecke Strunk ein neues Genre für sich. Surreale Szenarien, wie der kafkaeske Mann, der plötzlich den Schwanz hinten und den Arsch vorne hat. Das regt die Psycho-Krimi-Fantasie zum blühen an und projiziert neue Bilder im Kopf. Obendrauf kommt dann noch eine Episode genial dargebotener Fäkalhumor in Form eines verwichsten Fahrradunfalls. Also eine Hand am Lenker, eine Hand am Schwenker.

Doch seine thematische Main-Bitch ist Deutschland. „Deutschland in Schlagworten: Autobahn, Wurst, Mannschaft, Kartoffel, Fahrradhelm, Urimat, bei Rot warten, Nutella, Schlager, Fleischmahlzeit.“ So seziert er die Urlauber auf Usedom, die wie Opfer eines Gasangriffs in ihren Strand-Körbchen daliegen. Dann begibt Strunk sich mit seinem Publikum in die Hotelbar. Dem Ort, an dem die Absacke-Trinkenden am Ende selber zu Absackern des Lebens werden. Dem Ort, wo lautlose Trinker mit nervös abgeknabberten Fingernägeln mit entzündetem Nagelbett in Erdnüssen graben. So wie auch in „Rosis Bar“. Hier kommt – voll fett und voll fertig – Axl rein. Nicht irgendein Axl. Axl Rose. Strunk setzt die Lupe an und zeigt uns die Schuppenflechte von Sven, dem psychotischen Fan von Axl, der ihn mit nach Hause nehmen will. Sven ist aggressiv, geil und bescheuert.

Anders als Sven, der zum ersten Mal bei einer Lesung ist. Er fragt er sich anhand von Strunks literarischem Verlauf, ob dieser ein Problem mit dem Älterwerden habe. Strunk hat kein Problem mit dem Älterwerden. Er hat einen Weg heraus aus seiner persönlichen Hölle gefunden und malt jetzt fröhlich-virtuos mit seiner Palette, die bestückt ist mit Sprachfaszination, Komik und Musik. Damit drückt er aus, wie einen fetten, eitrigen Pickel, was ihn sonst bedrücken könnte. Am Ende der Lesung kommt kein Beifallrückzieher, sondern verdienter Applaus für Heinz Strunk und das Teemännchen („zu wenig Adrenalin, zu wenig Testosteron“), dem Titelgeber des Buches, von dem Sie sich selber ein Bild machen müssen.

Heinz Strunk: Das Teemännchen | Rowohlt | 208 S. | 20 €

Marielena Wolff

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