Seit Anfang Juli haben die Kinos nach gut drei Monaten Corona-Pause wieder geöffnet. Der Run des Publikums auf die wiedereröffneten Säle blieb zunächst hinter den Erwartungen zurück. Zum einen – das ist nichts Neues für Kinobetreiber – schlugen die hochsommerlichen Temperaturen zu Buche. Zum anderen waren die Verleiher in den ersten Wochen nach der Wiedereröffnung noch sehr zögerlich mit ihrem Programm.
Vor allem die Filme mit höherem zwei- oder sogar dreistelligen Millionenbudget wurden zurückgehalten und werden es zum Teil immer noch. Schließlich müssen sie immense Summen an der Kinokasse einspielen. So ist „James Bond – Keine Zeit zu sterben“ auf den November gerutscht. Disneys lang erwarteter Blockbuster „Mulan“ wurde mehrfach verschoben, bis er nun komplett auf die firmeneigene Streamingplattform gerutscht ist, wo er für einen exorbitanten Preis gestreamt werden kann.
Der Angriff auf die Auswertungsfenster – also der zeitversetzte Start im Fernsehen beziehungsweise auf Streamingplattformen oder auf DVD und Blu-ray nach der Kinoauswertung – ist als drohende Gefahr in den letzten Jahren immer mal wieder Thema in der Branche. Corona hat das Konzept erneut infrage gestellt. Glücklicherweise ist das die Ausnahme und es ist auch fraglich, ob das Publikum gerade mit einem visuellen Fest wie „Mulan“ auf dem kleinen Heimbildschirm glücklich wird. Christopher Nolans zeitphilosophischer Blockbuster „Tenet“ wurde dann zur ersten großen Hoffnung der Kinobranche nach der Wiedereröffnung, schlug sich in Anbetracht der Lage gut, blieb aber natürlich hinter den ursprünglichen Einspielerwartungen zurück.
Stattdessen bekamen in den ersten Wochen kleinere Filme eine größere Aufmerksamkeit. So zum Beispiel der Slowpacer „The Climb“ über eine dysfunktionale Männerfreundschaft. Oder die deutschen Coming-of-Age-Dramen „Kokon“ und „Nackte Tiere“. Und in diesem Monat folgen das tolle feministische Coming-of-Age-Drama „Niemals Selten Manchmal Immer“, unkonventionelle deutsche Genrefilme wie „Pelikanblut“ mit Nina Hoss, Voodoo-Diskurse in „Zombi Child“ oder ein sich jeder Kategorie entziehender Tanzfilm wie „Ema“, der neue Film von Pablo Larraín. Und tatsächlich trauen sich die Verleihe nun auch wieder, ihre größeren Filme ins Rennen zu schicken. Bildgewaltiges wie die Charles Dickens-Verfilmung „David Copperfield“ und Kenneth Brannaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“. Todd Haynes Umwelt-Thriller „Vergiftete Wahrheit“ oder die überdrehte Isabel Huppert-Komödie „Eine Frau mit berauschenden Fähigkeiten“.
Am Wetter und am Programm kann es im Herbst also wirklich nicht liegen, wenn sich die Besuchererwartungen nicht ganz erfüllen sollten. Da wird sicher auch die Sorge um die eigene Gesundheit eine Rolle spielen. Die Sorge muss man natürlich ernst nehmen, und das wird auch gemacht. Erlaubt sind inzwischen 300 Zuschauer pro Saal. Tatsächlich nutzen die meisten Kinos die Regel nicht aus, sondern behalten die Abstandsregeln mit freigehaltenen Plätzen zwischen den Buchungen bei. Auch das ist ein Grund für geringere Publikumszahlen. Aber es ist auch ein guter Grund, sich selber mal wieder ins Kino zu trauen.
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