Thomas Griesohn-Pflieger erinnert sich daran, welche Artenvielfalt am Hölter Kamp in Hattingen-Holthausen zu bestaunen war: „Vor zehn Jahren war es kein Problem, hier etliche, verschiedene Schmetterlinge zu sehen.“ Heute seien es nur noch um die fünf Arten, die hier leben: „Es liegt daran, dass sie umgebracht werden. Achtzig Prozent sind vom Aussterben bedroht“, so Griesohn-Pflieger, „ein Teil ist schon gestorben.“ Und das betrifft auch andere Tierarten: Goldammer, Nachtigall, Kiebitz – diese Vögel sind rund um Hattingen ausgestorben. Ebenso findet sich der Wiedehopf, der von der NABU zum Vogel des Jahres 2022 gewählt wurde, nicht mehr im Ruhrgebiet – seit knapp hundert Jahren.
Um dem entgegenzuwirken, hat der Naturschutz Hattingen vor zehn Jahren die „Ökozelle“ am Hölter Kamp etabliert. Über fast vier Hektar erstreckt sich die Fläche, auf der Rehe, Bienen, Hornissen, Frösche, Dachse und Waschbären zuhause sind. Rund um einen Tümpel leben Blindschleichen und Ringelnattern. „Da sind wir stolz drauf“, sagt Griesohn-Pflieger. Der Sprecher der „Ökozelle“ pflegt die Fläche zusammen mit bis zu 20 weiteren ehrenamtlichen Helfern.
Wirtschaft gegen Natur
An einen Samstag im Monat treffen sich alle am Hölter Kamp, etwa, um die Rasenflächen zu mähen – mit Sensen, aus Rücksicht auf die Heuschrecken und Schnecken, wie Griesohn-Pflieger erläutert: „Wir mähen von innen nach außen, damit die Tiere fliehen können.“ In der Landwirtschaft sei das keineswegs der Fall, wie er anmerkt: „Da gehen beim Mähen um die 95 Prozent der Lebewesen drauf.“
Wie groß ist der Einfluss von ehrenamtlichen Naturschützern, die inmitten eines Ballungsgebiets mehr Biodiversität schaffen wollen? „Es gibt mächtige, wirtschaftliche Interessen, die dagegen sind“, weiß Griesohn-Pflieger. Daran ändere auch eine starke Günen-Fraktion im Stadtrat wenig – auch im Hinblick auf die Ökozelle: „Man sollte erwarten, dass sie das Projekt unterstützen, aber ein Echo nehme ich nicht wahr.“
Dabei ist eine große Artenvielfalt entscheidend auch für die Zukunft der Menschen. „Jedes Lebewesen speichert CO2“, sagt Griesohn-Pflieger, „erst dadurch wurde dieser Planet lebenswert“. Doch gerade im Ruhrgebiet ging es mit dem Beginn der Industrialisierung in eine andere Richtung: „Da ging die Zerstörung im Ruhrgebiet los und darunter leiden wir noch immer.“ Zwar stehe die Industrie still, aber das Wachstumsdogma ist geblieben. Trotz des Strukturwandels werden weiterhin Flächen bebaut und versiegelt. „Bei jeder Baumaßnahme der Stadt müsste ein Prozent für Naturschutz ausgegeben werden“, schlägt der studierte Journalist vor.
Generationenfrage
Von Biodiversität profitierten am Ende alle. „Diese Fläche speichert genauso viel CO2 wie der Hattinger Wald“, erklärt Griesohn-Pflieger. Und er spricht nur von dem einen Hektar, das sich unmittelbar um den Tümpel befindet. Hier organisierte der Naturschutz Hattingen in den letzten Jahren auch Workshops für Kinder. Die ekelten sich zwar zunächst oft vor den Insekten am Wasser – bis sie sich mit den Lebewesen anfreundeten. Biophilie nennt Griesohn-Pflieger das. Wenn die Erwachsenen schon die Lebensgrundlagen zerstörten, dann wollten sie es beim Naturschutz Hattingen zumindest den Kleinsten vermitteln, es besser zu machen. Denn, so Griesohn-Pflieger: „Es geht nicht ohne ein liebendes Auge auf die Natur.“
UNARTIG - Aktiv im Thema
biodiversity-plants.de/downloads/JD155.pdf | Die etwas ältere Mitteilung der Uni Hamburg diskutiert, welcher Lebensraum mehr Arten birgt: tropischer Regenwald oder europäischer Trockenrasen?
rote-liste-zentrum.de | Das Rote-Liste-Zentrum koordiniert die Erstellung der Roten Listen für Deutschland, die über gefährdete Arten informieren.
mpg.de/17678393/artenschutz-wikelski-jetz | Das Gespräch zwischen Mitarbeitern der Yale University und des Max-Plank-Instituts diskutiert das Verhältnis von Artensterben und Klimawandel.
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