Die Siegerjustiz kennt keine Gnade. Der junge Talthybios (Nikolaus Benda) sieht zwar nett aus, doch seine Befehle sind schlicht Kolonialherrenterror. Mit ironischem Ton scheucht er die gefangenen Troerinnen per Durchsage zum Säcke-Schleppen, weist den Sklavinnen ihre neuen Herren zu oder verkündet Hekuba beschönigend den gewaltsamen Tod ihrer Tochter – nicht ohne sich ständig auf seine Botenfunktion zurückzuziehen. Die instrumentelle Vernunft waltet ihres Amtes.
Der trojanische Krieg ist gewonnen, die Griechen verteilen die Beute – das sind ausschließlich Frauen. In schwere Steppdecken gehüllt, verbergen sich die Troerinnen hinter weißen Masken und irren über die mit Erde belegte Spielfläche. Aluminiumstützen markieren die Umrisse eines Würfels, in dem Tisch, Stühle und die Säcke herumstehen (Bühne: Thomas Dreissigacker). Eine archaische Kampfbahn. Es ist die Königin Hekuba (Julia Wieninger), die die emotionalen Grenzpfosten des Gefangenseins markiert: tiefe Erstarrung, wilder Protest und stoische Ergebenheit.
Regisseurin Karin Beier verabschiedet sich vom Kölner Publikum mit „Die Troerinnen des Euripides“ von Jean-Paul Sartre, das als Reflex auf den kolonialistischen Algerienkrieg entstanden ist und in Köln mit Texten von Nietzsche über Beckett bis Pasolini angereichert wird. Zu Beginn macht die Regie allerdings viel pseudoarchaisches Brimborium: Die Frauen stoßen wilde Klagelaute aus oder skandieren griechische Verse. Vor allem die Kassandra der Rosalba Torres Guerrero stürzt sich mit der Prophezeiung vom Untergang der Griechen in euphorische Tänze. Das Pathos wabert schwer durch die Halle der EXPO I.
Das ändert sich schlagartig mit dem Auftritt von Lina Beckmann als Andromache. Wieder einmal ist es diese phänomenale Schauspielerin, die letztlich den Abend trägt. Mit anfangs leicht plebejischem Ton beschuldigt sie Hekuba, wirft sich ihr dann ängstlich an die Brust und steigert sich in einen wütenden Atheismus hinein. Eine Achterbahn der Gefühle. Gemeinsam mit den anderen Frauen inszeniert sie dann eine absurde Sklavenfantasie mit Baströckchen und nackten Brüsten. Als sie ihren kleinen Sohn den Griechen ausliefern muss, wird dies zu einer tief bewegenden Schmerzensklage, die in eine wilde Abrechnung mit dem Scheinhumanismus der Griechen mündet. Die Inszenierung entlarvt damit Demokratieexport und Befreiungsutopien als zutiefst von kolonialistischem Denken durchdrungen, indem die zur Normalität zurechtgebogenen menschenverachtenden Bildfantasien kritisch zitiert werden. Auch bei der Frage nach dem Kriegsgrund, sprich nach Helena, die zunächst als männliche Weiblichkeitsfantasie von Stripperin bis Marilyn vorgestellt wird, bevor Angelika Richter von Anklage über Einschmeichelung bis zu spitzfindiger Kasuistik alle Register zieht, um ihren biederen Ex-Mann Menelaos (Yorck Dippe) rumzukriegen. Sie schafft es. Hekuba bleibt nur noch, den Göttern ihre völlige Bedeutungslosigkeit zu attestieren – der Terror ist ab sofort menschlich. Eine sehenswerte Aufführung mit kleinen Schwächen.
„Die Troerinnen des Euripides“ von Jean-Paul Sartre | R: Karin Beier | Schauspiel Köln | 1., 2., 3.2. (18 Uhr), 19.30 Uhr | www.schaupielkoeln.de
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