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Schneller, länger, härter

07. September 2013

Alternative Filmfassungen im Kino – Tagebuch HE 02

Fragt man einen Künstler danach, zu welchem Zeitpunkt er sein Werk als vollendet betrachtet, dürfte die Antwort darauf in vielen Fällen lauten: Niemals! Doch man kommt nicht drum herum, spätestens zum Zeitpunkt der Publikation muss der Schöpfer loslassen. Das gilt für die Literatur, für die Malerei und für die Musik. Weniger zwingend aber gilt dies für den Film, der alle Monate wieder alternative Neuauflagen erfährt. Die nennen sich dann Recut, Extended Cut, Director’s Cut oder Final Cut. Oder man liefert zeitgleich zwei Fassungen, so wie bei Stanley Kubricks „The Shining“, der eine längere US-Fassung erfuhr, an der sich nun die anregende Doku „Room 237“ orientiert. So etwas ist jedoch eher die Ausnahme. Eher schafft es ein Film durch alternative Cuts nach Jahren zurück auf die Leinwand, so wie beispielsweise Ridley Scotts Final Cut zu „Blade Runner“.

Wollten sich die Künstler damit ursprünglich noch nachträglich von etwaigen produktionsbedingten Kompromissen emanzipieren, gehören alternative Fassungen von Kinofilmen heutzutage zur finanziell lukrativen Routine. Stichwort: Zweitauswertung auf dem Heimkinosektor. Inzwischen werden immer mehr Filme entschärft, damit sie im Kino eine niedrige Altersfreigabe erhalten, die dem Werk eine bedeutend größere Zuschauerschaft offeriert. Jüngstes Beispiel ist das Sequel zu „Wolverine“ oder der Mainstream-affine Zombiestreifen „World War Z“. Bereits zum Kinostart wird in den Medien verkündet, dass zur späteren Blue Ray-Veröffentlichung eine verschärfte Fassung auf den Markt geworfen wird. Eine Ohrfeige für die Genrefans, die damit noch stärker als ohnehin auf den Fernsehabend daheim vertröstet werden. Doch es wird auch rebelliert: So hat Borat-Darsteller Sacha Baron Cohen kürzlich sein Arrangement als Hauptdarsteller in der anstehenden filmischen Biografie Freddy Mercurys zurückgezogen, nachdem die Verantwortlichen beschlossen hatten, das Leben der exzentrischen Koryphäe als familienfreundlich entschärftes Drama zu inszenieren.

Dabei zensiert der entbehrliche Schnitt nicht nur physische oder verbale Tabus. So sitzt Steven Soderbergh derzeit im Schneideraum, wo er seinen „Kafka“, der 1991 mit durchwachsenen Reaktionen über die Leinwände flackerte, neu sortiert. Geplant ist eine kürzere, eine abstraktere Fassung, ein „hardcore art movie“. Möchte man Soderbergh hier eher zu Einhalt gemahnen, kommen Regisseure aktuellerer Produktionen derweil gar nicht umhin, ihr Werk erst im Anschluss an die Kinoauswertung so zu präsentieren, wie es denen gefällt, für die es eigentlich gedacht ist. Das ist für den einen absurd, für den anderen lukrativ, aber ganz sicher nicht im Sinne des Erfinders. Und doch immer noch besser, als hätte man gar keine Wahl. Doch die Angst, die bleibt: Ist Kino eines Tages nur noch ab 12?

Hartmut Ernst

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