Oft werden die beiden kurzen Opern, die das gleiche Thema beleuchten, mal besser, mal schlechter zu einem Abend zusammengefasst. Der Oper Köln ist dies hervorragend gelungen, das hatte schon die Premiere 2010 bewiesen. Nun wurde das Programm wiederaufgenommen. „Es handelt sich um ein Repertoirestück, das wir immer wieder spielen, allerdings in großen Abständen“, erklärt uns Chefdramaturg Georg Kehren. „Es passt sehr gut für den kleinen Raum des Staatenhauses. Hinzu kommt, dass wir diesmal gleich drei Rollendebüts von herausragenden Sängern haben.“ Opernabonnenten, die den Abend bereits vor sieben Jahren gesehen hatten, berichten, dass sie ihn wieder völlig neu erleben.

Die namhafte Sopranistin Juliane Banse, den Kölnern aus „Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ in guter Erinnerung, spielt in „La Voix Humaine“ („Die menschliche Stimme“) eine verzweifelte Frau, die von ihrem Geliebten nach fünfjähriger Beziehung für eine andere verlassen wurde und nun in einem selbstquälerischen Telefonat versucht, die Verbindung zu ihm zu halten, unfähig loszulassen. Sie heuchelt Wohlbefinden, während sie in Wahrheit kurz vorm Selbstmord steht. Der herzzerreißende Monolog, bei dem die Sätze des Mannes nur aus den Reaktionen der Frau erahnbar sind, wurde vom berühmten Pariser Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau (1889-1963) verfasst und 1930 als Theaterstück in Paris uraufgeführt. Cocteau verarbeitete darin seine eigene Erfahrung, da er zuvor von seinem Geliebten verlassen worden war. 1959 vertonte der französische Komponist Francis Poulenc (1899-1963), der zur berühmten Künstlergruppe „Les Six“ gehörte und 1957 in Köln die deutsche Erstaufführung seiner „Dialoge der Karmelitinnen“ miterlebte, das Monodram, das seine Uraufführung in der Pariser Opéra Comique erfuhr. In Deutschland wurde die „Tragédie lyrique“ durch eine anrührende Verfilmung mit Hildegard Knef 1960 bekannt. Regisseur Bernd Mottl, der hier bereits die „Csárdásfürstin“, „Il ritorno d’Ulisse in patria“ und „L‘elisir d’amore“ inszenierte, verlegt das Telefongespräch in einen dunklen, nebelschwadendurchzogenen Wald, der Einsamkeit und Ausgesetztheit der Frau deutlich macht. Juliane Banse singt und spielt die ihren Ängsten und Qualen schutzlos ausgelieferten Frau zart und mädchenhaft. Das große Orchester unter Leitung von Gabriel Feltz, Generalmusikdirektor der Stadt Dortmund, unterstützt den rezitativen Gesang mit Auslassungen und lyrischen Einsprengseln in C-Moll, wie Georg Kehren in seinem Einführungsvortrag erläutert. Zum Schluss steigt die Tabletten schluckende Frau, deren „Reviens!“ ungehört verhallt, in ihr eigenes Grab mit den Worten „Je t’aime“.

Das Liebesbekenntnis wird in „Herzog Blaubarts Burg“ zum Imperativ der Frau an ihren Gatten: „Liebe mich!“ Gefolgt von: „Gibt mir die Schlüssel!“ Die düstere Story hat einen historischen Ursprung: Der bretonische Edelmann Gilles de Rais, Kampfgefährte Jeanne d’Arcs, soll zahlreiche Kinder sexuell missbraucht und ermordet haben, wofür er 1440 gehängt wurde. In Charles Perraults Märchen 1697 wurde daraus ein Frauenmörder, der die Leichen seiner Gattinnen in einer geheimen Kammer aufbewahrt. Das Drama wurde vom ungarischen Autor Béla Balázs (1884-1949), der sich als Filmtheoretiker einen Namen machte, 1911 als Libretti verfasst, geprägt von Freuds Psychoanalyse. Herzog Blaubarts Burg mit sieben verschlossenen Türen, die nach und nach gegen dessen Widerstand geöffnet werden, symbolisieren das männliche Bewusstsein, in das die Frau neugierig eindringt. Der von magyarischem Patriotismus und Kommunismus beeinflusste Komponist Béla Bartók (1881-1945) vertonte das Werk, das seine Uraufführung 1918 an der Oper Budapest erlebte. Die kolumbianische Mezzosopranistin Adriana Bastidas Gamboa, zuletzt brillant als Meg Page im „Falstaff“, singt die Judith, die zu viel fragt und so das Scheitern der Liebe herbeiführt. Ihr zur Seite steht der bewährte südkoreanische Bassbariton Samuel Youn, als „Fliegender Holländer“ im Gedächtnis, der ebenfalls sein Rollendebüt feiert. Resolut fordert Judith das Öffnen der Türen, die zuerst Pracht, Reichtum und Macht, dann jedoch einen See aus Tränen und schließlich die ermordeten Ehefrauen enthüllen. Herzog Blaubart, der sich immer mehr sträubt, tötet Judith in einem furiosen Schluss. Beide singen ihre Parts grandios und überzeugend, nur das Ungarische will nicht ganz rüberkommen. Bernd Mottl verlegt die Szenerie in ein modernes Schlafzimmer. Das Wald-Bild überm Bett sowie Grün-Blau-Töne gemahnen an das vorige Stück. Das Drama wird zum Streit im Ehebett, wie ihn wohl jede(r) kennt: Sie will ihn streicheln, er dreht sich weg.
„La Voix Humaine“ / „Herzog Blaubarts Burg“ | R: Bernd Mottl | Do 19., Mi 25.1. 19.30 Uhr, So 22.1. 18 Uhr | Oper Köln: Staatenhaus | 0221 22 12 84 00 | www.oper.koeln
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