Zu den ungewöhnlichsten Konzertorten der diesjährigen c/o pop gehörte sicherlich die Christuskirche auf dem Dorothee-Sölle-Platz. Mit seiner klaren und hellen Architektur bot sie die optimale Bühne für die Bochumer von Frère. Das Quartett um Singer-Songwriter Alexander Körner, der mit seiner zarten, sehnsüchtigen Stimme und seinem weltabgewandten Charme um kurz nach 7 die Kirche beschallte, ließ das leider viel zu kleine Publikum mit ihrem aufgeräumten und unaufdringlichen Sound ins Schwelgen geraten. Durch viele kleine elektronische Spielereien trieben die vier auf einem Ambient-ähnlichen Meer durch die Songwriter-typischen Themen von Liebe, Herzschmerz und Freundschaft. Dabei funktionierte der Spannungsbogen der Songs, der zwischen leisen Tönen und lärmenden Ausbrüchen sein Heil suchte, ausgezeichnet.
Júníus Meyvant schlug kurze Zeit später im Stadtgarten in eine ähnliche Kerbe. Sein Sound war dabei deutlich wärmer und Soul-lastiger. Hinzu kam das sympathische und witzige Auftreten des Isländers, der zwischenzeitlich das Konzert zur Komödie umgestaltete, als er mit seinem Mischer flirtete. Doch lebte der Auftritt allzu sehr von der Bühnenpräsenz des bärtigen Frontmannes. Die interessantere Singer-Songwriter-Gruppe kam an diesem Abend aus Bochum.
Weiter ging es später am Abend mit Jadu Heart im Gloria. Das Londoner Dou Dina und Faro schöpfte von seinem üppig gedeckten Bühnentisch und kredenzte einen weitläufigen und assoziativen Sound mit frickeligen elektronischen Parts, der immer wieder von ihren harmnonisch-poppigen R’n’B-Parts zusammengehalten wurde. Mit ihren Hasenmasken ausstaffiert, die an Donnie Darko denken lassen, inszenierte die Band eine durchaus ansehnliche Show.
Bevor es im Gloria mit Faber und James Vincent McMorrow weitergehen sollte, lohnte ein Abstecher ins WDR-Funkhaus am Wallrafplatz. Daniel Brandt von Brandt Brauer Frick präsentierte dort sein Soloprojekt „Eternal Something“ und erlaubte sich den Mut zum Experimentellen und Technoiden, der in seiner Stammband auf dem letzten Album etwas abhanden gekommen war. Gleichzeitig blieb, mit Trompete ausgestattet, auch Zeit für jazzige und ruhigere Momente.
Diese waren, zurück im Gloria Theater, bei Faber rar gesät. Vielmehr ließ der Schweizer Liedermacher mit seiner markanten Stimme und seinen Liebesliedern im Sturm-und-Drang-Stil, die vornehmlich mit weiblichen Besuchern gefüllte Halle zum Beben bringen. „Akustik-Punk für Mädchen“ solle das sein, so der Sänger selbst einmal. Was es auch ist, es zeigte seine Wirkung. Und so weit entfernt von AnnenMayKantereit ist das dann tatsächlich nicht. Auch Faber lebt von der markanten, rau-raspelnden Stimme ihres Sängers. Auch Faber ist in seiner Inszenierung romantisch bis frech und pocht auf seine Authentizität, die dieser Tage scheinbar die Sehnsucht vieler Zuhörer erfüllt.
Mit einer ähnlichen Strategie versucht es James Vincent McMarrow. Auch hier lebt der Auftritt von der Authentizitätsinszenierung des Sängers. Im Fall der Iren bedeutet das: Hut, Bart und hohe gefühlvolle Stimme. Doch ähnlich wie Faber sucht man hier nach neuem meist vergeblich. Das Ganze ist stark durchproduzierter Singer-Songwriter-Pop. Nicht mehr und nicht weniger. Ansonsten bewegt sich die Musik auf zumeist ausgetretenen Pfaden. Die Herzen der auch hier vornehmlich weiblichen Zuschauerschaft waren den beiden letzten Acts des Abends im Gloria aber sicher.
Der Samstag sollte das riesige Angebot noch einmal sprengen. Neben dem normalen Festivalprogramm startete mit der Chic Belgique im Belgischen Viertel eine Art Festival im Festival. In Boutiquen, Cafes und Bars spielte eine breite Palette von Bands vor. Man konnte am späten Nachmittag und am frühen Abend also ruhig einmal durch das Viertel spazieren und sich von der Musik locken lassen, denn auch der Eintritt war frei.
Im Schuhladen Trippen konnte man um 18 Uhr dem Dänen Lasse Mathiessen lauschen, der mit seiner Akustikgitarre und einigen netten Anekdoten von seinen Reisen zwischen norwegischen Blockhütten und sonnigen Ständen in Kalifornien, ausgestattet, seiner gefühlvollen Singer-Songwriter-Stimme freien Lauf ließ. Nett war‘s bei diesem intimen Konzert.
Richtig funky wurde es wenig später im Fahrradladen Radfieber. Hush Moss, acht in Berlin lebende Spanier baten zum Tanz. Mit einer ganzen Menge erotisch und ironisch aufgeladenem Spieltrieb ließ die Band die Hüften kreisen. Der laszive Gesang, das permanent pathetische Saxofon, die groovigen Bassläufe: irgendwo zwischen Verneigen und Augenzwinkern gegenüber dem Disco- und Funk-Sound der Siebziger bewegte sich im Radfieber nicht nur die Musik, sondern im Laufe des Auftritts auch die T-Shirts von den Körpern der Band. Sexy, wild, ironisch, aber immer mit der nötigen Leidenschaft für das Essentielle der Musik, begeisterte diese Band das Publikum.
Um neun ging es wieder Richtung Stadtgarten. Auf dem Hans-Böckler-Platz hatte sich der frisch gekürte Gewinner der pop NRW-Nachwuchsförderung Woman angekündigt. Und die Frage, warum sie diesen Preis gewonnen haben, ließen sie nicht lange offen. Frischer, treibender Pop, voll von elektronischen Akzenten, aber auch mit härteren Gitarrensolis gewürzte Passagen, wurde geboten. Und obwohl die teils harschen Stimmungs- und Genrewechsel rasch aufeinanderfolgten, bewahrte sich das Ganze eine innere Logik und Harmonie.
Eine Stunde später kam es im WDR Funkhaus mit Perfume Genius zu einem pompösen Ende des Abends. Der Amerikaner, der sich in seinen Songs mit der Identitätssuche und den täglichen Diskriminierungen und Schwierigkeiten eines Homosexuellen auseinandersetzt, legte eine Show hin, wie sie nur in den besten Momenten des Pop möglich ist: In einem Moment pathetisch sinnierend und reduziert auf Stimme und Klavierspiel, um im nächsten Moment auszuholen, mit elektrifizierenden Synthieflächen und dumpfen Drums untermalt, über die ganze Bühne tanzend und wütend. Immer auf der Suche nach der theatralischen Geste, nach der großen Wahrheit: nach Freiheit.
Und wenn man den abgekämpften Mike Hadreas nach einer Stunde unter tosendem Applaus von der Bühne begleitet, dann weiß man, was den Pop zu dem macht, was er heute ist, und was er seit den 60er Jahren schon immer war. Man kann ihn scheinheilig nennen, inszeniert, oberflächlich. Aber wie viel Wahres zu finden ist in diesen Inszenierungen, die in seinen besten Momenten immer auch ikonisches Abbild von dem sind, was uns umgibt! In der ironisch gebrochenen Ansprache, in der affektiven, lustvollen Handlung und Haltung. Immer nach vorne, immer mit der Leidenschaft des Kompilierens und des Schöpfens aus dem großen Erbe der Popmusik. Ohne Zweifel, ohne Zaudern. Die c/o pop bewies mit ihrem Booking, das einen Blick in die heterogene Szene gewährte, und mit ihrem Gefühl für Timing und Raum, dass sie auch über die Stadtgrenzen hinaus ein gewichtiges Wort im Popdiskurs mitzureden hat.
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