Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.583 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Schatten über uns
Foto: SasinParaksa / Fotolia

Permanenter Verfassungsbruch

30. April 2019

Superreiche und Politik pfeifen auf Artikel 14



Einer der ganz großen Mythen der Bundesrepublik lautet, dass die starken Schultern der Gesellschaft eine größere Last tragen sollen als die schwächeren. Das Steuersystem soll dem Leistungsfähigkeitsprinzip folgen: Wer viel hat, soll auch mehr zum Finanzbedarf von Staat und Gesellschaft beitragen. So steht’s im Grundgesetz. Artikel 14 sagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Arbeiter von BMW beispielsweise, die in den vergangenen zehn Jahren einen Einkommenszuwachs von rund 35 Prozent verzeichnet haben – davon können die meisten nur träumen –, zahlen bis zu 42 Prozent Einkommensteuer. Stefan Quandt und seine Schwester Susanne Klatten, die fast die Hälfte von BMW geerbt haben und deren Anteil am Gewinn rund 1,2 Milliarden Euro beträgt, werden hingegen mit nur 25 Prozent Kapitalertragssteuer zur Kasse gebeten. Dass sie die auch zahlen, ist zu bezweifeln. Denn jeder mediokre Steuerberater weiß, wie er den Satz – völlig legal, versteht sich – drücken kann.Die Reichen und Superreichen haben die Finanzierung des Staates weitgehend der Mittelschicht überlassen. Ziel des Steuersystems ist aber nicht nur die Finanzierung des Staatshaushalts, sondern auch die Umverteilung von oben nach unten. Glaubt man Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dann ist in Sachen Besteuerung Verfassungsbruch der Normalfall: „Die sehr Reichen haben insgesamt einen niedrigeren Steuersatz als jemand mit 100.000 Euro Jahreseinkommen.“

Seit den 90er Jahren gleicht die Steuerpolitik aller Bundesregierungen einem „Wünsch Dir Was“ für Superreiche. Sämtliche Steuerarten, von denen sie betroffen sind, wurden entweder drastisch gesenkt oder abgeschafft. Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer: runter; Börsenumsatzsteuer und Gewerbekapitalsteuer: weg; Vermögenssteuer: ausgesetzt. Die daraus resultierenden Haushaltslöcher stopfen die Normalverdiener. Denn, anders als noch in den 70er Jahren, finanziert sich der Staat heute vor allem durch Verbrauchssteuern wie Mehrwertsteuer, Energiesteuer, Tabaksteuer oder Branntweinsteuer. Hier gilt für den Hartz-IV-Bezieher über die Krankenschwester bis zum Dividendenkaiser derselbe Satz. Die Jedermann-Steuern wurden stetig erhöht und bringen dem Fiskus inzwischen mehr als dreimal so hohe Einnahmen wie sämtliche Unternehmenssteuern, Gewerbesteuern und Kapitalertragssteuern zusammen. Für Milliardäre waren die vergangenen Jahrzehnte goldig. Auch, weil ihre Propaganda sich immer wieder verfängt: Angeblich gingen ein bis zwei Prozent Vermögenssteuer ans Unternehmenskapital und gefährdeten Arbeitsplätze. Obwohl in Wahrheit nur die Gewinne schrumpfen würden. Diese stiegen bei den deutschen Kapitalgesellschaften von 1991 bis 2016 um das Dreifache, während die Netto-Investitionen auf – nicht um! – ein Viertel sanken. Und es gibt eine weitere obszöne Zahl: Um 60 Prozent sind seit der Finanzkrise, in der Steuerzahler Banken retteten und Autokonzernen mit der Abwrackprämie ein Konjunkturprogramm sponsorten, die Dividendenzahlungen der Dax-Konzerne gestiegen. Die Mittelschicht wurde an dem Boom kaum beteiligt. Stattdessen wird sie auch weiterhin Staat und Superreiche schultern dürfen.


Die Verfassung der Deutschen - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

vermoegensteuerjetzt.de | Seit 1997 wird in der BRD keine Vermögenssteuer mehr erhoben. Die Initiative plädiert für eine Reform, um hohe Vermögen stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen.
campact.de/konzernsteuer | Die Kampagnen-Profis setzen sich auch dafür ein, dass die Apples, Starbucks‘ und Amazons dieser Welt gerecht besteuert werden. Jeder kann unterzeichnen.
Wir wollen wohnen! | Das Bündnis fordert den Ausbau von Mietschutz und bezahlbarem Wohnraum in NRW.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.

Bernhard Krebs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Die leisen und die großen Töne

Lesen Sie dazu auch:

Fest, nicht starr
Intro - Grundgesetz

Die Utopie leben
Nicht jeder Staat braucht eine Armee – Europa-Vorbild: Island

„Eigentümer üben übermäßigen Einfluss aus“
Grünen-Politiker Sven Giegold über Eigentum und Gemeinwohl

Vom Dritten Reich zum dritten Geschlecht
Leben im Zwiespalt: Die Leiden des 70-Jährigen Grundgesetzes

Leitartikel

HINWEIS