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Unantastbar
Foto: adragan / Fotolia

Vom Dritten Reich zum dritten Geschlecht

30. April 2019

Leben im Zwiespalt: Die Leiden des 70-Jährigen Grundgesetzes



Das Grundgesetz wurde verabschiedet auch als Antwort auf einen Wüterich, der alles, was es gab, in Grund und Boden trat. Damals war die Lage klar wie Kloßbrühe: Niemand hatte ein Recht auf irgendwas. Einer durfte alles. Heute ist alles komplizierter. Nun wird das GG 70 Jahre alt. Anlässlich dieses runden Geburtstages haben wir eine Überraschung vorbereitet. Schließlich muss man die Feste feiern, wie sie fallen. Zugegebenermaßen ist das GG kein Frischfleisch mehr. Seine Haare werden schütter. Auch neigt es gelegentlich dazu, sich selber zu vergessen. Aber angesichts der Demenz, an der auch zahlreiche Akteure leiden, die das GG konstant mit Füßen treten, macht das nichts. In den opulenten Präsentkorb, der dem GG in die Hand gedrückt wird – ob es möchte oder nicht, muss deshalb unbedingt eine Wundheilsalbe für all die Hämatome, die es im Laufe der Zeit kassiert hat. Und ein aufmunternder Rätselspaß gegen Demenz darf auch nicht fehlen.

Eigentlich will das GG nicht feiern, wie es piepsend betont, aber das ist wurscht. Was ist schon Freiheit? Kurzerhand wird es zu seinem Geburtstag gezwungen. Im Grunde genommen, ist es ja auch kein Mensch. Und selbst wenn, wäre das auch egal. Freilich findet das Fest im Freistaat Bayern statt. Schließlich wird ja die Freiheit gefeiert. Und wo fließt so viel Freibier wie hier? „Eigentum verpflichtet“, wurde im Grundgesetz verankert. Zugleich soll sein Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Während im Hintergrund Amnesty International auf einer kargen Wand Bilder verfolgter und toter Menschen zeigt, entfacht eine Schlacht am Buffet: „Herr Gott Sackerl, wem gehört‘s die Weischwurscht? Sollen wir sie zerhackerln?“ „Ich will deine Wurst nicht. Ich bin Vegetarier.“ Und wer besitzt das GG? Fortan wird an jenem herumgezerrt, bis es in der Mitte entzweit und mit dem Wort „Grundgütiger“ durch die Luft saust, bevor es in den Schlund des bayerischen Ministerpräsidenten hinabpoltert. Nach einem Wiederauskäuen kann das GG im Grunde genommen wieder funktionieren wie zuvor.

Überhaupt soll sich das GG mal nicht so anstellen. In punkto Sexualität beispielsweise macht Deutschland enorme Fortschritte, gelang, könnte man sagen, die Wende vom Dritten Reich zum dritten Geschlecht. Doch, wie sich bei der illustren Festivität zeigt, wird dieses noch lange nicht von allen Anwesenden toleriert. Während die Grünen fleißig Toiletten für dritte Geschlechter öffnen, sorgt sich die Bildungsministerin um das Wohl von Kindern in Regenbogenfamilien. Das GG wird zwischen den Fronten hin- und hergeschleudert. Mal wird sein Gesicht in bunte Hennafarbe getunkt. Dann erscheint es auf einer Kampagne gegen Inzest. Auch werden ein paar Falten auf seinem Gesicht wegretuschiert und es sodann in das eines Kindes hineingequetscht. Dazu der Schriftzug: „Hilfe, Mutti und Vati! Mir ist übel!“ Als Höhepunkt witzelt eine Politikerin, die die Veranstaltung mit der Fassenacht verwechselt hat, über Männer, die ob der Öffnung sexueller Grenzen nicht mehr wissen, ob sie im Stehen oder im Sitzen pinkeln sollen. Doch die Grünen wissen zu kontern: Da sich das Gesetz sich durch seinen neutralen Artikel besonders für eine Veranschaulichung eignet, muss es alsbald bei „Sesam öffne dich!“ mitspielen. Dazu wird sein Gesicht in eine recycelte Vulva hineingepresst, um neue sexuelle Gebiete zu erforschen. Wird das GG die richtige Formel nennen und der Samen als Speiseöl aus der Vulva tropfen?

Im Hintergrund wacht indessen wie in einem Beckettschen Endspiel eine schwerst-depressive Bundeswehr. Ob der spektakulären Ereignisse weiß sie nicht, ob sie eher im Ausland oder im Inland eingreifen soll. Wobei sie das im Ausland ja gar nicht mehr soll, obwohl Waffen dorthin geschafft werden. Da sie sich in einem narkose-ähnlichen Zustand befindet, hört jene die zaghaften Hilferufe des GGs nicht, das sich noch einmal aufzubäumen versucht.

Das Grundgesetz hat heute wieder ein paar Haare gelassen. Es wurde mehrfach begrapscht, obwohl die Würde des Menschen unantastbar ist. Aber eben nur die des Menschen – wenn überhaupt.


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