Das bewegte Leben des jüdischen Juristen Fritz Bauer steht im Zentrum der Wanderausstellung, die vom Fritz-Bauer-Institut und dem Jüdischen Museum Frankfurt am Main zusammen gestellt wurde. Der 1903 in Stuttgart geborene Bauer war schon früh politisch aktiv, was 1933 zu einer ersten Verhaftung durch die Nationalsozialisten führte. Aus dem Exil in Dänemark und Schweden kehrte er nach dem Krieg zurück nach Deutschland, wo er sich als jüdischer Staatsanwalt als Außenseiter sah.
Sein großes Verdienst war die Thematisierung des Unrechts des gesamten NS-Apparats. Gelungen ist das nicht zuletzt durch den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt, dessen Protagonisten ausführlich in der Ausstellung vorgestellt werden. Neben Gerichtsakten, Fotografien und Presseauszügen sind es vor allem die Briefe, die Einblicke in die damalige Debatte rund um den Prozess geben. Darunter sind auch anonyme Schmäh- und Drohbriefe, die die Ablehnung der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bezeugen – und die Fritz Bauer wohl ein Leben lang begleiteten. Dennoch hielt er an seinem humanistischen Weltbild fest. Dieses stellte auch Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes in ihrer Rede zur Eröffnung heraus. Sie zog dabei Parallelen zur heutigen Situation und rief dazu auf, bei fremdenfeindlichen Äußerungen nicht wegzuschauen, sondern in die Diskussion einzutreten und sich entgegenzustellen.
Fritz Bauer hat dies getan, auch wenn seine Versuche nicht alle erfolgreich waren. So zeigen Dokumente das Scheitern seiner Argumentation als Oberstaatsanwalt im Auschwitzprozess. Wegen der industriellen Tötung in den Lagern war er der Auffassung, dass direkt Beteiligten nicht der einzelne Mord nachgewiesen werden müsse, sondern nur ihre Funktion im Betrieb. Das wurde vom Richter anders gesehen, weshalb es bei wenigen Anklagen und eher kurzen Haftstrafen blieb. Erst 2011 wurde seine Argumentation von einem Gericht gegen den Wachmann John Demjanjuk anerkannt. Auch Bauers Kampf gegen einige seiner Kollegen, die teilweise in der NS-Zeit Todesstrafen für Bagatelldelikte verhängt hatten und in den 1960er Jahren noch immer im Justizapparat arbeiteten, waren nicht sehr erfolgreich. Viele konnten sich Verurteilungen entziehen, indem sie vorgaben, nichts über das Unrecht gewusst zu haben.
Die Rolle Fritz Bauers als Außenseiter wird solche Anklagen verschärft haben. In der Ausstellung wird sie immer wieder sichtbar, auch auf persönlicher Ebene. So war er zwar Sohn jüdischer Eltern, bezeichnete sich aber stets als nicht gläubig. Dr. Mirjam Wenzel vom Jüdischen Museum erklärte in ihrer Rede, im Selbstverständnis sei er Agnostiker gewesen. Auch die sexuelle Orientierung Bauers wurde durch diese Wanderausstellung zum ersten Mal thematisiert. Einige Ausstellungsstücke zeigen nämlich, dass er sowohl von der dänischen Regierung in der Exilzeit wie auch später noch in Deutschland überwacht wurde wegen des Verdachts der Homosexualität. Wie die Kuratorin Dr. Monika Boll erklärte, gab es einige Diskussionen um die Veröffentlichung dieser Dokumente, die den Blick auf diesen sehr privaten Teil seines Lebens richten. Wichtig sei aber gewesen, den starken Eingriff der Behörden in das Leben Fritz Bauers darzustellen. Er hätte eine mögliche homosexuelle Neigung (die tatsächlich ungeklärt ist) noch in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik nicht offen ausleben können, ohne seine Arbeit zu verlieren. Möglicherweise waren seine Erfahrungen als Verfolgter auch ursächlich dafür, dass er sich trotz aller Gräueltaten der Angeklagten für deren humane Behandlung einsetzte. Seine Einstellung spiegelt der Schriftzug des Grundgesetzes wider, den er an der Fassade des Landgerichts in Frankfurt anbringen ließ: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Fritz Bauer. Der Staatsanwalt - NS-Verbrechen vor Gericht | bis 21.8. | NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz
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