Das Gloria ist voll. Fast zu voll. Das musikalische Opening macht der kanadische Sänger Mark Berube, der ruhige gefühlvolle Folkmusik liefert und von japanischen Cowboys in Kanada schwärmt, in die er sich verliebte. Begleitet wird er dabei von einer gewissen Kristina Koropecki, die später auch bei Agnes Obel als Cellistin mitmischt. Und wie sie mitmischt.
In der Pause wird es plötzlich ruhig. So ruhig, dass man die Anspannung bei den Gästen spüren kann. Die Ruhe wird immer lauter. Bis sie schließlich in Begleitung dreier weiterer Musikerinnen zart und elegant ganz in weiß gekleidet auf die Bühne hüpft: Agnes Obel. Fast elfengleich ist ihr Auftritt im erst pinken, dann blauen Nebellicht, irgendwie mystisch. Und es ist erstaunlich, was aus dieser kleinen zarten Person an Musikalität und Gesang herauskommt. Dem Publikum stockt der Atem.
Binnen kürzester Zeit mauserte sich die aus Dänemark stammende, seit sieben Jahren in Berlin lebende Singer-Songwriterin von der eher unbekannten Musikerin zu einer fast schon populären. Und das im Alleingang: Ihr jüngstes und drittes Album „Citizen of Glass“, dessen Titel auf den gläsernen Menschen im Zeitalter der Überwachung anspielt, hat die 36-jährige Pianistin ganz alleine komponiert und produziert.
Passend zum Titel klingen ihre Lieder mal sehr fragil und verletzlich, so als würde Regen auf eine Fensterscheibe niederprasseln und abprallen. Dann klingt sie plötzlich äußerst dramatisch und spannend. Später melancholisch. Dafür sorgt nicht zuletzt die rührende Cellomusik, die Obels Musik so tragend macht.
Ihre Musik und der ganze Auftritt scheinen nicht von dieser Welt, wirken wie ein Traum. Umso erstaunlicher ist, dass Obel zwischendurch reale Statements auf Deutsch und Englisch von sich gibt, die einen daran erinnern, dass sie doch eine echte Person ist. So verrät sie etwa, dass sie einst ihre Kontaktlinse auf der Bühne verlor. Dass müsse wohl an Köln liegen.
Obel präsentiert an diesem Abend zahlreiche Stücke ihres neuen Albums neben einigen von „Philharmonics“ und ihrem 2013 erschienenen „Aventine“. Ihre Lieder, die „It’s Happening Again“, „Winter“, „Familiar“ oder „The Crawling“ heißen, handeln von Träumen – guten wie schlechten, wie sie sagt, vom Leben, von der Liebe, von Eifersucht, Trennungen, Depressionen und dem Tod.
So erinnert das sich mehr und mehr steigernde und sich wiederholende „It’s Happening Again“ etwa an das Gefühl, das man in jenem Augenblick verspürt, wenn man aus einem Traum erwacht oder die Vergangenheit erneut durchlebt. Stück für Stück wird das Publikum durch gewaltige Cello-Klänge und Obels Klaviertöne, die sie mit ihren drahtigen Armen auf wunderliche Weise produziert, in die Realität geschleudert. Bis der Traum vorbei ist.
Doch, wer genau zuhört, stellt fest, dass die fast schon etwas naiven reinen Pop-Klavierklänge ihres ersten Albums diesmal durch ein weiteres eher irritierendes und dissonantes Element angereichert sind: So bedient sich Obel in ihrer neuen Platte des elektroakustischen Trautoniums – ein seltenes Instrument mit einer komischen Schiene, die für Schwingungen sorgt und so Effekte erzeugt. Damit nähert sich die in Kopenhagen geborene Obel in „Citizen of Glass“ langsam der Elektromusik – wie auch in dem von ihr ebenfalls im Gloria interpretierten Stück „Familiar“: Hier stellt sie ihre eigene Original-Stimme experimentell mit einer Kopie in tieferer Tonlage gegenüber.
Obel widmete sich von kleinauf der Musik, und es ist nicht verwunderlich, dass ihre schöne, tragische und gleichzeitig spannende Musik, die mitunter auch als neo-klassisch bezeichnet wird, den einen oder anderen Weg in die Filmwelt nahm. So benutzte etwa Thomas Vinterberg das Lied „Riverside“ ihres ersten Albums in seinem Film „Submarino“.
Agnes Obels Musik ist berührend und emotional. Dass die Zuschauer dabei nicht ausflippen, tanzen, headbangen oder schunkeln, sondern nur sehr lange klatschen, liegt daran, dass sie ganz in einem wundersamen Traum gefangen sind. Einem mal schönen und mal schrecklich schönen Traum.
Ein Traum, aus dem man fast nicht aussteigen möchte.
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