Der einst mit viel Aufwand und Enthusiasmus propagierte „Ruhrgebiets-Broadway“ ist bald Geschichte. Nach „Tanz der Vampire“ schließt im März das Metronom-Theater in Oberhausen und auch das „Colosseum“ in Essen steht vor dem Aus. Selbst die scheinbar unverwüstlichen Rollschuhfahrer in „Starlight Express“ werden in Bochum auch nicht ewig ihre Runden drehen. Der ohnehin reisefreudige Musicalfan wird wohl zukünftig in die deutsche Musical-Metropole Hamburg ausweichen müssen, wo gerade wieder ein neues MusicalTheater entsteht. Aber erst einmal hat dort im Hafen der „König der Löwen“ Konkurrenz bekommen: Im Theater nebenan schüttelt „Pretty Woman“ stolz ihre „Mähne“. Denn Vivian, die Bordschwalbe aus dem gleichnamigen Kultfilm von 1989, istals Musicalfigur wiederauferstanden und feiert nun nach der Broadway-Premiere 2018 an der Alster ihre europäische Erstaufführung.
Und gleich geht ihr am Rodeo Drive in Hollywood die Finanz-Heuschrecke Edward Lewis ins Netz, der auf der Suche nach seinem Luxushotel in Beverly Hills ist. Es beginnt mit einer Nacht für 300 Dollar und endet mit einem Wochen-Engagement für 3000 Dollar, für die er sie als Begleitung zu seinen Geschäftsessen bucht. Natürlich fehlt Vivian jede Erfahrung im Umgang mit der High Society, was zuerst einmal zu demütigenden Begegnungen hochnäsiger Luxus-Boutiquen-Verkäuferinnen führt. Aber als Edward beginnt, sich in Vivian zu verlieben, wird die Komödie immer mehr zum melodramatischen Märchen, Läuterung und Happyend eingeschlossen.
Mit dem mitreißenden „Welcome to Hollywood“ werden wir im Aufsehen erregenden Bühnenbild von David Rockwell und vom stimmungsvollen Lichtdesign von Kenneth Posner und Philip S. Rosenberg, die genial die Balance zwischen Minimalismus und Glamour treffen, in die Geschichte hineingezogen, die die Autoren Garry Marshall und J.F. Lawton trotz des delikaten Themas mit viel Fingerspitzengefühl erzählen.
Auch Jerry Mitchells geschmackssichere Regie und seine pointierten Choreografien tun ihr Übriges, damit wir uns wie am Broadway fühlen. Und dann gelingt es der Darstellerin der Titelfigur gleich mit ihrem ersten Auftritt, den Schatten loszuwerden, der einen immer verfolgt, wenn man in die Fußstapfen einer Ikone tritt: Patricia Meedens elektrisierende Performance dürfte auch die hartnäckigsten Julia Robert Fans davon überzeugen, dass es ungerecht ist, Film und Musical zu vergleichen. Und Maricel als ihre Strich-Freundin Kit ist ebenso eine „musicalische“ Offenbarung, wie Paul Kribbe als „Erzähler“ und menschelnder Hotelmanager mit seinen komischen Auftritten und tänzerischen Kapriolen.
Leider verblasst in ihrem Glanz Mark Seibert (als Edward Lewis) ein wenig, wohl auch, weil seine Rolle nicht so prägnant herausgearbeitet ist. Zudem muss er in seiner musikalischen Liebeserklärung an Vivian („Sie hat was Besondres“) mit dem holprigen deutschen Lied-Text von Nina Schneider und Frank Ramond kämpfen, der die Frage provoziert, warum man die Songs nicht im Original belassen hat. Womit wir bei den Kompositionen von Bryan Adams und Jim Vallance wären, deren an der gegenwärtigen Popmusik orientierte Songs wie Einzelstücke wirken, sich aber nie zu einem geschlossenen Musical-Score verbinden, geschweige denn im Ohr hängen bleiben. Das ist aber auch der einzige – wenn auch gewichtige – Wermutstropfen in einem unterhaltsamen Show-Cocktail.
„Pretty Woman“ | Mo 18.30 Uhr, Mi+So 19 Uhr; Do, Fr, Sa 19.30 Uhr | Stage Theater an der Elbe | 01805 44 44
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