Ein Mädchen aus Glas zu sein, kann nicht immer angenehm sein. Trotzdem geht sie zerbrechlich in die Welt und lässt in ihre Seele schauen. So dann auch im Kulturcafé Lichtung am Ubierring am vergangenen Samstag, wo die gebürtige Kölnerin, die in Braunschweig wohnt, mit ihrer Gitarre vor dem schwarzen Vorhang das Publikum in ihre Welt entführte. Mittel zu diesem Zweck waren insgesamt 18 Songs, die nach Liedermacher-Art persönliche Erlebnisse lyrisch-musikalisch verarbeiten. Das Mädchen ist eine junge Frau, aber kein Auftritts-Routinier. Doch zu viel Perfektion und Automatik will man ja nicht von jungen Talenten. Das Wechselverhältnis des Ausprobierens und Entdeckens zwischen Künstler und Publikum, das Gefühl, mit als erster Dinge zu hören, die vom Kulturbetrieb noch nicht offiziell bewertet, beurteilt und eingeordnet sind, machen aus einem Konzertbesuch in kleinen Clubs ein umso persönlicheres Erlebnis. Das selbst in Köln wenig bekannte Mädchen probierte dann auch zwei neue Songs aus.
Unkomplizierte, fein ausgearbeitete Lieder handeln bei ihr von Glück und Bedauern, sind Wünsche, Klarstellungen, Erinnerungen, Schlussstriche und Zeitkapseln. Sie gehen aus von einem Moment der Wahrheit oder Einsicht, um den sie kreisen. Erlebtes steht dabei in Verbindung mit nicht immer expliziten Gefühlen, die sich in der Stimme übermitteln. Die Texte schonen niemanden, wenn es denn mal nicht so gut lief. Sind die Songs einmal geschrieben, hat das Mädchen, gern auch „Biene“ genannt, schon ihren Frieden mit ihnen gemacht. Wenn die Mutter sagt: „Sing das bloß nie auf einer Bühne“, wird das Publikum mit diesem Hinweis einfach vor einem „traurigen Lied“ gewarnt. Dabei sind traurige Lieder ja die schönsten. Ihre derzeitige Facebook-Beschreibung „Geschichten aus dem Leben über das Schicksal und anderen Kuriositäten“ wurde an diesem Abend dem Song „Nachtfalter“ vorausgeschickt; es gab auch ein „Hass-Liebe-Lied“ zum Mitsingen über Berlin, wo sie gewohnt hat und musikalisch viel unterwegs ist. Ihre Einflüsse fühlen sich aber diffus-angelsächsisch an, das Songwriting lässt an die frühe Amy MacDonald denken (besonders bei „Der Pirat in mir“) oder an Joan Baez, sie selbst verrät uns, sie habe auf den Straßen Australiens Green Day oder Songs wie „Zombie“ von den Cranberries gecovert, ganz früher war sie in einer Punkrockband. Über ihr Leben in Australien, wo sie nach dem Abi hinreiste, singt sie in „Stadt am Brunnen“.
Mädchen aus Glas stellt ihre Stimme nicht in den Vordergrund, genausowenig sich selbst oder ihr Gitarrenspiel, sondern allein die Songs, jeder mit seinen Eigenheiten. Man kann auch einfach mal die Augen schließen zu den kleinen Statements in drei Strophen, die kein großes Finale haben. Auf offenen Bühnen und bei „Kunst gegen Bares“ schneidet sie gut ab – im Februar war sie die Siegerin in der Bonner Brotfabrik, beim „Lieder mat(s)ch“-Festival in Prenzlau holte sie vor einigen Monaten den dritten Platz.
Die CDs, die sie mitgebracht hatte, waren Unikate: „Ich arbeite unter anderem in einer Buchhandlung und die bewahren im Keller Kartons für mich auf“ – aus denen bastelt sie die Hüllen. Manche der Lieder sind an diesem Abend toll vorgetragene Juwelen, die verzaubern. Sie begleitet sich zum „Katze und Maus“ auf einem Bandoneon: „Die Katze spuckt die Maus aus / deren Haus du raus schaust / so klein / denn sie hat das was sie wollte / lässt ihre fette Beute / bedeutungslos sein“. Auf Soundcloud findet man dieses verspielte Lied als Duett mit Mirja Lendt. Dasjenige, das ihr „am meisten am Herzen liegt“ ist aber „Der Nomade“, nach dem auch ihr Album benannt ist, ein der Zeit enthobenes Lied über inneres Schicksal und den Ruf der Ferne. Im „Herbstlied“ lässt sie sich von den Worten eines Unbekannten wärmen: „Und ist es noch so schlecht gelogen / fühl ich mich fast nie betrogen“. Und dann ist da noch das „Mädchen aus Glas“, ein früher Song, nach dessen Titel sie an einer offenen Bühne angesagt wurde, woraufhin sie sich überlegt habe, bei dem Namen zu bleiben. Im Refrain heißt es: „Tänzelnd wie ein Mädchen aus Glas / über das taufrische Gras / lege ich einen Walzer hin / bis ich merke, dass ich einsam bin“ – bei ihr gehören alle Zustände zum Leben, manches ist schön, manches weniger, aber den Liedern hängt niemals eine endgültige Traurigkeit an, und spätestens das nächste Lied wird alles wieder richten.
Weitere Auftritte in Köln und Bonn sind in Planung.
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