Mittwoch, 6. März: Auf den Kalker Straßen ist es abendlich kühl, in den Kalker Lichtspielen wohlig warm. Das mag daran liegen, dass jemand ein wenig zu enthusiastisch an der Heizung gedreht hat, vielleicht aber auch daran, dass das kleine Kino restlos ausverkauft ist – und das Foyer nur eine begrenzte Zahl an Sesseln und Bänken zum besetzen, an Raum zum Stehen bietet, ehe man die kostenlosen Sektgläser seiner Nebenfrauen und -männer beim Umschauen ganz automatisch anstößt. Rund 90 Personen warten im und vorm Kino gemütlich auf die Premiere eines ungemütlichen Films: Nachdem der übernatürliche Horror-Thriller bereits auf diversen internationalen Festivals und dem Fantasy Filmfest lief, feierte „Luz“ nun zwei Wochen vor dem Kinostart seine offizielle Premiere in der Stadt, sogar in dem Viertel, in dem er größtenteils gedreht wurde.
Eine junge Taxifahrerin, ein Polizeipsychologe und ein Dämon befinden sich in einem Befragungsraum – mehr muss man über die Handlung gar nicht wissen. Hier wird eine klassische Horrornarrative anachronistisch auf verschiedenen Realitätsebenen erzählt und bewegt sich dabei, so Regisseur Tilman Singer, „irgendwo auf einem Fleck zwischen einer David-Lynch-Geschichte“ und einer „einfachen, unterhaltsamen Geschichte, bei der man jeden Plotpoint versteht“. Dichte 70 Minuten lang zieht der untypisch deutsche Genrestreifen, auf 16 mm gedreht, sein Publikum in den Bann.
Im Anschluss ist der Großteil des anwesenden Filmteams für ein Q&A bereit. Moderator Kai Krick (Festival „Besonders wertlos“) kitzelt dabei aus der Crew die Antworten heraus – weil sich der Rest der Gruppe sympathisch-schüchtern zurückhält, vor allem aus Tilman Singer und Production Designer Dario Mendez Acosta. Die beiden studieren wie viele andere im Saal an der Kunsthochschule für Medien, „Luz“ stellt ihre Diplomarbeit dar. „Ich wollte von Anfang an mit Tilman zusammenarbeiten“, sagt Acosta und bekommt dafür den Rücken getätschelt. Als Acosta erstmals auf Singer zugekommen war, soll dieser erst zurückhaltend reagiert haben, schließlich arbeiteten sie aber doch zusammen und einige Kurzfilme und Musikvideos später sitzen sie nun auf der Premiere ihres ersten kurzen Langfilms.
Viele Informationen und Anekdoten, die im Laufe des Gesprächs aufkommen, machen immer wieder deutlich, dass es sich bei „Luz“ um einen Studentenabschlussfilm und nicht um eine große Produktion handelt: Trotz budgetärer Einschränkungen hat Singer sich dazu entschieden, auf 16 mm zu drehen, weil dies „irgendwie magisch“ sei. Anstatt auf Nummer Sicher zu gehen, seien die gesamten Dreharbeiten im „Blindflug“ absolviert worden, die Filme also erst im Nachhinein entwickelt. „Es ist kein Vorteil, sondern ein totaler Nachteil, sich die Sachen angucken zu können. So muss man sich auf seine Sinne und Fähigkeiten verlassen und sich gegenseitig und auf seine Erfahrungen vertrauen.“
Simon Waskows intensiver Soundtrack wurde teilweise während Wasserrohrbrüchen geschrieben. Und die Filmcrew hat sich in Seminarräumen, auf Studentenfahrten, in der Schule kennengelernt oder irgendwann zusammen in einer Band gespielt. Man merkt bei jeder weiteren Antwort, dass hier mit Leidenschaft zusammengearbeitet wurde. Ob man einen Schuss ins Blaue abgebe, wenn völlig ungewiss ist, ob irgendjemand deinen Film schauen wird, fragt sich Singer zwischenzeitlich. Acosta bejaht dies. Und wie Hauptdarstellerin Luana Velis anmerkt, war dieser Schuss ins Blaue zum Glück kein Schuss in den Ofen.
Der Abend endet mit Freisekt-Restbeständen und der Möglichkeit, Filmposter und Unterschriften abzustauben. Gespräche drehen sich nun darum, wie der Film war und nicht wie er sein wird. Und wer möchte, kann das Q&A nun persönlich fortsetzen. Das alles lädt zum Verweilen ein. Aber irgendwann bleibt auch dem Letzten nichts anderes übrig, als sich in der mittlerweile nächtlichen Kälte auf den Heimweg zu machen.
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