Mit einem spektakulären Tanzabend wurde gestern Abend das Festival tanz.tausch in Köln eröffnet. Ein Stück reinen Tanzes steht neben einer mit technischen Effekten arbeitenden Performance. Beide zeigen damit das weite Spektrum zeitgenössischer Bewegungsformen auf. Noch bis Sonntagabend ist der Freiraum für TanzPerformanceKunst in der Wachsfabrik Sürth Austragungsort dieser Tausch- bzw. Austauschbörse. Ausgetauscht werden Tanzstücke und Performances, aber auch Erfahrungen, Eindrücke und Gedanken zu den Inszenierungen. Eingeladen dazu sind ausdrücklich auch die Zuschauer, mit denen die Künstler gern ins Gespräch kommen wollen. Deshalb steht das Ganze auch unter dem Motto: Künstler treffen Künstler treffen Publikum. Es ist ein Austausch nationaler Regionen, der – so die Veranstalter – in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist. Mit dabei sind NRW, Leipzig, Berlin und demnächst wohl auch München. Diesmal also Köln, wo an jedem Abend ein Beitrag aus Nordrhein-Westfalen neben einem Stück aus Berlin steht. Die Anlage als Doppelabend erweist sich als geschickte Festivaldramaturgie, die eine besondere Spannung zwischen den Beiträgen erzeugt, auch wenn es nicht um einen Wettbewerb geht.
In „Wasteland“ von ACSC, das sind die Tänzerin São Castro und der Tänzer António Cabrita, starten beide in völliger körperlicher Harmonie, die sich in vierzig Minuten puren Tanzes zu körperlicher Konfrontation wandelt. Es ist ein Duett beeindruckend schöner Bewegungen, getanzt von zwei hervorragenden Tänzern, die dieses Stück auch choreografiert und dabei eine ganz eigene hochästhetische Tanzsprache entwickelt haben. Minutenlang erfüllt dumpfes Rauschen den Raum. Im Halbdunkel bewegen sich zwei Gestalten auf allen Vieren synchron vorwärts. Ihr langsamer Gang dehnt die Leere des Raumes fast ins Unerträgliche. Die Harmonie der beiden Tänzer wird in einem Parcours der Bewusstwerdung auf eine harte Probe gestellt. Als würden sie den anderen nicht wahrnehmen, erfolgen alle Bewegungen, alle Tanzschritte absolut synchron, so, als spiegele sich einer im anderen. In kleinen Bewegungen deutet sich langsam ein Veränderungsprozess an, der zu ersten körperlichen Kontakten führt und schließlich in der Konfrontation enden wird. Das abstrakte Tanzstück zeigt einen außergewöhnlich feinfühlig choreografierten Prozess des Wandels, der mit der Sprache des Körpers die Leere, das Wasteland, langsam besetzt. Ein großartiges Tanzstück.
„Soft Landing“ von battleROYAL aus Berlin steht dazu in völligem Kontrast. Nicht mit kleinteiligen Bewegungen, sondern mit einer raffinierten Schwebetechnik beeindruckt das Stück, die Tänzern Sprünge und Figuren unter Aufhebung der Schwerkraft ermöglicht. Die schwebenden Tänzer, die wie menschliche Marionetten von Seilen bewegt werden, erzählen auf oft witzige, ja komische Weise von der Zerbrechlichkeit und Isolation älterer Menschen. Mit ihren Slapstick-Szenen nehmen sie der Vorstellung, man sei in diesem Lebensabschnitt nur noch vom Seilzug anderer abhängig, auch ihren Schrecken. Die Passivität der Puppets wird in einem komischen Szenario des Alterns ausgespielt. Und da alle Performer die gleiche Maske tragen, sind wir wohl alle damit gemeint. Eine ungewöhnliche Performance, fantasievoll und drastisch zugleich.
Nächste Vorstellungen: 14., 15. und 16.12.2012, 20 Uhr, Wachsfabrik Sürth
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