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Jac Leirner, Museum Bags, 1985-2019, Installationsansicht Museum Ludwig, Köln 2019, © Künstlerin
Foto: Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig/Sasa Fuis, Köln

Trophäen gegen Systeme

29. Mai 2019

Jac Leirner hat den Wolfgang-Hahn-Preis erhalten – kunst & gut 06/19

Die Ein-Raum-Ausstellung von Jac Leirner im Museum Ludwig macht es dem Betrachter einfach. Man sieht, was man sieht. Vier Werke genügen, um die Konzeption dahinter deutlich werden zu lassen. Offensichtlich ist, welche künstlerischen Referenzen für Leirners Werk eine Rolle spielen, aber auch von dem „untergraben“ werden: Gleich auf mehreren Ebenen handelt es sich um eine Kunst mit und gegen den Kunstbetrieb. Der Minimalismus kommt nicht nur in der konstruktiven Ordnung zum Ausdruck, sondern auch in den Materialien, die aus unserer Überflussgesellschaft stammen. Jac Leirner sammelt bestimmte Gegenstände über viele Jahre, klassifiziert sie und ordnet sie additiv an. Im Zugriff auf die etablierten Dinge aber formuliert sie Kritik an Strukturen, die Hierarchien vorgeben. Das betrifft die Institutionen im Kunstbereich und die Systeme der Industriegesellschaft.

Barbara Engelbach
Foto: Nathan Ishar, pramudiya.com
Die Kuratorin
Barbara Engelbach
leitete, eröffnete und konzipierte das Museum für Gegenwartskunst Siegen. Seit Mai 2004 ist sie Kuratorin am Museum Ludwig, ihre Ausstellungen behandeln zeitgenössische Kunst, Fotografie, Video und Kunst im öffentlichen Raum.

Jac Leirner wurde 1961 in Sao Paulo geboren, dort lebt sie auch heute. Schon 1992 wurde sie zur documenta eingeladen und gehört seitdem zu den – unspektakulären – Global Playern der avancierten Kunstszene, so wie überhaupt die zeitgenössische Objekt- und Installationskunst aus Brasilien einen exzellenten Ruf besitzt: Dass sie nun als erste Künstlerin aus Südamerika mit dem Wolfgang-Hahn-Preis ausgezeichnet wurde, mag auch als Anerkennung für die Kunstszene ihres Landes gelten.

Jac Leirner setzt sich mit Fragen des Lebens in den Metropolen auseinander, mit Privatheit und Identität im Massenkonsum, mit der globalen Verfügbarkeit, dem Nomadisieren und multinationalem Einfluss. Dabei hat sie sich die Sensibilität für Oberflächen bewahrt. Das verdeutlicht die zugleich sprödeste und eindrucksvollste Arbeit im Museum Ludwig: „Skin (Smoking Maiz)“ (2018) zeigt, in 24 Reihen zu 46 Partikeln, das standardisierte Zigarettenpapier, das hier an Post-it-Zettel aus dem Haushalt erinnert. Die Papiere heben sich wie Markisen von der Wand ab – und zeigen damit etwas Fragiles, Provisorisches – und lassen aus der Ferne an die Fassaden von Mietskasernen und von nahem an die Schuppen eines Reptils denken. Der wie im Sonnenlicht gebleichte Gelbton unterstützt den Aspekt von „Erlebtem“. Der Titel aber weist doch auf den Menschen, seine (geschädigte) Haut bei gleichzeitigem Rausch im kollektiven Ertragen. Und als Notizzettel wird eine Nachrichtenflut angesprochen, die keine individuelle Botschaft transportiert.

Auf eine andere Form gesellschaftlicher Rituale und nun von glatter, abweisender Oberfläche weist „Museum Bags“ aus festgezurrten Plastiktüten: ein Projekt, das Leirner bis heute fortführt und das autobiographisch geprägt ist. Die Tüten mit ihrem Design vermitteln die Museen als Wirtschaftsfaktoren. Sie markieren Mobilität und Bildung (mit den Kunstbüchern, die sie tragen), aber heute ist auch ihre Umweltverschmutzung erkannt. Als in Szene gesetzter Luxus sind die Plastiktüten eine aussterbende Spezies und schon bald reine Dokumente. Die Realität verleiht also Jac Leirners Werk weitere Aktualität. Und dann ist da noch die formale Qualität der Arbeit mit ihrer narrativen Poesie, die die Starrheit des Minimalismus überwindet. Wie kritisch, wie schön!

Jac Leirner. Wolfgang-Hahn-Preis 2019 | bis 21.7. | Museum Ludwig | 0221 22 12 73 80

Thomas Hirsch

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