Ursprünglich sollte das Internationale Frauenfilmfestival, das in Köln und Dortmund abgehalten wurde, bereits im März stattfinden. Wegen der Krise wurde es auf den 10. bis 13. September verlegt, die Filme waren sowohl im Kino als auch online zu sehen. Interviews mit Filmschaffenden fanden größtenteils per Videotelefonie statt und können auf dem Vimeo-Kanal des IFFF aufgerufen werden.
„Becoming Black“ – Suche nach Identität
Den Auftakt bildete die eindringliche Dokumentation „Becoming Black“ im Filmpalast. Regisseurin und Protagonistin Ines Johnson-Spain, dunkelhäutig geboren und mit weißen Eltern und einem Bruder in Bernau aufgewachsen, begleitet die Suche nach ihrer Identität filmisch. Es erscheint unfassbar, wie die heute erwachsene Frau ihre ganze Kindheit mit dem großen Geheimnis ihrer Herkunft verbrachte. Ihre Eltern sagten ihr nur, das komme halt mal vor. Ihr Bruder erklärte sich Ines‘ Hautfarbe mit den Mendel’schen Gesetzen. Das Mädchen begegnete in der DDR der 70er Jahre Rassismus, den es nicht zuordnen konnte, und erlebte seltsame Begegnungen mit anderen Schwarzen. Erst mit zwölf fand sie selbst heraus, dass ihr leiblicher Vater Lucien aus Togo kommt.
Die in der Dokumentation gezeigten Gespräche mit dem Vater, dem Bruder, der Tante, allen Verwandten und Freunden der Eltern in Deutschland, sind starr und unangenehm. Viel Wundern und Schweigen, viele lange Blicke sind auf den Film gebannt. Ines fragt offen danach, was sich die Menschen in ihrem Umfeld dachten; auch, warum nie jemand nachgefragt habe oder sie überhaupt über ihre Herkunft aufklärte. Der Vater erzählt nur widerstrebend davon, wie er sich dazu entscheiden musste, die aus einer Affäre der Mutter mit einem afrikanischen Studenten entstandene Tochter anzunehmen. „Welches Problem jetzt?“, geht Ines auf seine Schilderungen ein, „Meine Existenz, also meine Geburt?“ – „Ja.“
Ernsthaft, gezeichnet spiegelt das Gesicht der Protagonistin ihre Gefühle, ihre Reaktion auf die teils schwer verdaulichen Äußerungen und Verdrängungen. Erst in den Szenen, die in Togo spielen, dort, wo Ines die Familie ihres leiblichen Vaters kennenlernt, kommt Willkommenheit auf. Man sieht viel dunkle Haut, lernt über die afrikanische Kultur in Togo. Immer wieder werden Aufnahmen der togolesischen und der deutschen Vegetation gegeneinandergeschnitten; Fotografien aus den 60er und 70er Jahren von der erzählenden Ines begleitet.
„Das Unsichtbare hat viel Einfluss auf das Sichtbare“, erklärt ein altes Familienmitglied in Togo mysteriös. Es scheint sinnbildlich für Ines‘ Suche, für die vielen Jahre, in denen alle in ihrem Umfeld versuchten, das Offensichtliche zu verstecken und tabuisieren. Und für all das, was ihr verborgen geblieben war, und von dem sie doch immer spürte, dass es da sein musste. Der Film wird am 5. Oktober kurz nach Mitternacht im ZDF gezeigt.
„Las Hijas del Fuego“ – feministische Erotik
Spät am Freitagabend lief in der Filmpalette der argentinische Film „Las Hijas del Fuego“. Die Schwestern des Feuers haben es wirklich in sich, denn was unter der Regie von Albertina Carri 2018 entstanden ist, ist tatsächlich ein lesbischer Porno. Schon der einminütige Film „Foodgasm #2“ von Florence Freitag, der zuvor gezeigt wird, zwingt eine Verbindung von schmatzendem Radiesschenessen und orgasmischem Erleben auf. Es folgen zwei Stunden feministischer Erotik.
Der Ansatz war es, mit normativen Vorstellungen zu brechen, ertönt Carris Stimme zu Landschaftsaufnahmen. Es ist ein Meta-Film, der davon handelt, wie die Autorin ihr Drehbuch für den Porno verfasst, den das Publikum im kleinen Saal nun bereits sieht. Frauen und nichtbinäre Menschen spielen alle Hauptrollen, rundliche, sehr dünne, mit großen Brüsten oder flachen, mit langen Haaren oder ganz ohne, mit buschigen Intimbereichen oder stoppelig rasiert. Und sie alle haben, es ist nun mal ein pornografischer Film, ständig und überall Sex. Sie haben auch immer Lust und kommen immer zum Höhepunkt. Ob zu zweit, allein oder in zunehmend größeren Orgien.
Die Handlung kann dabei größtenteils außer Acht gelassen werden, es ist ein Roadmovie mit dem Prinzip, immer mehr lesbische Mitstreiterinnen aufzugabeln und in die Spiele miteinzubeziehen. Männer sind nur dazu da, verprügelt oder in die Flucht geschlagen zu werden. Nach fast zwei Stunden wird der Sitz im Kino immer unbequemer, und man muss ab und zu die Augen schließen vor lauter Hautrollen, Dildos, Fetischobjekten und aufgerissenen Orgasmusmündern. Das Ganze gipfelt in einer Selbstbefriedigungsszene in einem seltsamen, mit Pillen besetzen Netzkleid und in der Volltotale. Endlich ist sie gekommen, denkt man, doch dann gönnt sie sich noch eine zweite Runde.
Die Überlegungen, einen queer-feministischen Porno zu machen, der sich stark mit Körpern und Körperlichkeit auseinandersetzt, und die sonst sehr heteronormativen Vorstellungen hinterfragt, sind nachvollziehbar. Das Ziel scheint jedoch verfehlt, wenn der Film im Kino jegliche Erträglichkeitsgrenzen überschreitet und dazu noch vermittelt, es wäre normal, den ganzen Tag lang bereit zu sein, mit jeder Sex zu haben und sonst nichts zu brauchen. Und die Ausstellung von Körpern birgt immer die Gefahr einer Normativität, auch wenn frau sich noch so um die figürliche Abwechslung bemüht.
„Im Stillen laut“ – lesbische Utopie in der DDR
„Im Stillen laut“ heißt die Dokumentation von Therese Koppe, einer Studentin der Filmuniversität Babelsberg, die am Samstagnachmittag im Filmforum des Museum Ludwig gezeigt wurde. Im Gegensatz zu „Hijas“ gibt es hier sogar enttäuschte Seufzer, als die Vorführung vorbei ist. Dem übergreifenden Thema der Wende zuzuordnen, das mehrere der Festivalfilme durchwirkt, spielt auch diese Doku in der ehemaligen DDR. Koppe und ihre Kamerafrau Annegret Sachse begleiteten die Künstlerinnen Erika Stürmer-Alex und Christine Müller-Stosch, die auf einem Hof im Oderbruch leben, über den Zeitraum eines ganzen Jahres hinweg.
Ein wahres Paradies, eine lesbische Utopie haben sich die als Paar lebenden Frauen dort auf dem Land errichtet. Beide mittlerweile 82, konnten sie leider nicht als Gäste zum Festival kommen, um sich zu schützen. „Ja, das ist schade“, bestätigt Therese Koppe, „es ist immer spannender, wenn die beiden dabei sind.“ Das wird auch in ihrem Film eindeutig. Amüsiert lesen die Künstlerinnen Auszüge aus ihrer Stasi-Akte vor: die Schilderungen eines von der Nacktheit in der Kommune auf dem Hof erschreckten staatlichen Mitarbeiters. Mit Humor, aber auch mit Offenheit und Ehrlichkeit wird die Vergangenheit in der repressiven DDR am Frühstückstisch diskutiert.
Stets begleitet von der sehr ruhigen und stabilen Kamera, folgen die Zuschauer dem kunstschaffenden Alltag der beiden Frauen. Manchmal scheinen die gezeigten Foto-Aufnahmen aus den 60ern und 70ern etwas zu losgelöst von den Szenen, die die heutige Zeit zeigen. Musik erklingt nur, wenn Stürmer-Alex oder Müller-Stosch sie im Hintergrund laufen lassen, ansonsten hört man jedes Papierrascheln, den Wind, und immer wieder schnatternde Wildgänse überdeutlich. Tagebucheinträge von Müller-Stosch begleiten, von ihr vorgelesen, den Bericht.
Koppe erzählt in der Nachbesprechung, sie habe sich für die Biografien von Ost-Künstlerinnen interessiert und habe in ihrer Dokumentation eigentlich mehrere von ihnen aus verschiedenen Generationen porträtieren wollen. Doch sie blieb bei den beiden Künstlerinnen auf dem Hof in Lietzen hängen, fasziniert von ihrem Leben und ihrer Weltsicht. So wurde dennoch die Generationenlücke zwischen Alt und Jung überbrückt. „Es war ein tolles Erlebnis, so nah an die beiden ranzukommen“, erzählt Koppe. Manches Mal sei sie so fasziniert gewesen, dass sie vergessen habe, die Kamera zu schwenken, stimmt Sachse ihr zu.
Nie hören die Künstlerinnen auf sich zu hinterfragen; auch welche Auswirkungen das Leben in der DDR auf ihre Biografien hatte. Immer wieder geht es um die Frage: Warum schaffen wir eigentlich Kunst? Den Westlern machen sie eine klare Ansage: Ihr könnt auch etwas von uns lernen, nicht nur andersherum. „Im Stillen laut“ ist ab dem 8. Oktober im Kino zu sehen.
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