Donnerstag, 26. April: Gehen Punk und Frauen zusammen? Wenn man Nicole Wegners „Parallel Planes“ sieht, sogar ziemlich gut. In ihrem umfangreichen Werk hagelt es verrückte amerikanische Bands, schrille Farben, analog dazu noch schrillere Beats, selbstgeschnittene krasse Cuts, skurrile Witze alternder amerikanischer Punkmusiker und Knaller-Kostüme: Wir begegnen etwa dem aus Miami stammenden Otto von Schirach, einem leidenschaftlich gerne Augenbinden tragenden durchgeknallten Breakcore-Musiker der Band Megadebt, der auch unter dem Pseudonym Blotto von Crack Rock veröffentlicht, Cowboys, die im Hintergrund plötzlich einfach so durch‘s Bild reiten, gemalten Hühnern und immer wieder lauter, irrer, guter Punkmusik. Irgendwo zwischen Hardcore, Noise, Nowave und Improv angesiedelt.
„Eine halbe Ewigkeit habe ich an diesem Dokumentarfilm gebastelt“, gibt Nicole Wegner, Absolventin der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) lachend zu, die bei ihrem musikalischen Roadtrip durch die USA ziemlich viel in Selbstregie tat, das Drehbuch verfasste und sogar selber schnitt. Kein Wunder, immerhin interviewte die Filmemacherin insgesamt 12 Punkmusiker und reiste dafür von New York City, Washington D.C., über Portland nach San Francisco, Los Angeles, San Diego und Miami. Beinahe wären es sogar 13 gewesen, doch schließlich landete die Band Make-Up, die sie ursprünglich auch noch portraitieren wollte, in Form eines Zitats im Titel: „I‘m on a parallel plane, can‘t decide if you‘re on the same“.
„Eigentlich ist dieser Film aus einer Depression heraus entstanden“, sagt die in Rostock geborene Regisseurin und Autorin. „Ich wollte mal eine gute Musikdoku machen und nicht – wie so häufig – nur ein spezielles Portrait ausschließlich für Nerds. Auf der Suche nach einem anderen Ansatz habe ich darüber nachgedacht, was die persönlichen Geschichten dieser Menschen sind, was sie motiviert. Und wie sie in dieser Branche mit dieser speziellen Nischenmusik überleben können.“ Das Ergebnis ist eine Mischung aus musikalischer Reise durch die skurrilen Subwelten der US-Punkszene und einem intimen Quasi-Tagebuch. Damit erweckt Wegner auch das Interesse und erreicht so auch die Ohren von Menschen, die zuvor nicht eingefleischte Fans lauter, schräger Punkmusik waren.
Indem jeder Ort mit einer U-Bahnszene angetextet wird, ist „Parallel Planes“ darüber hinaus eine gesellschaftskritische Doku, die existentielle Fragen aufwirft – wie z.B.: Wie kann man als Punkmusiker überleben? Kann man das überhaupt? Michael Gira, Musiker und Bandchef der Swans, der eine äußerst sonore Stimme hat und stets einen Hut trägt, sagt: „Klar, hätte ich auch Anwalt werden können. Doch Punk ist für mich besser als irgendetwas Akademisches für die Reichen. Durch Punk kann ich mich besser ausdrücken.“ Greg Saunier, Musiker, Produzent und Schlagzeuger der Band Deerhoof, findet: „Was mich überzeugt hat, ist, dass Punk absolut gegen das Leben ist. Es ist das, was man als Teenager verehrt. Das ist das Großartige daran.“
Jamie Stewart, vor allem bekannt durch die Band Xiu Xiu, behauptet: „Meine Musik ist aus dem Nichts entstanden. Ich habe ganz klein angefangen. Wir hatten damals nichts.“ Ein bisschen schwingt dieser in Deutschland leider oft fehlende Gedanke eines möglichen gelebten Traumes dabei mit, dass man, egal aus welchem Elternhaus man stammt und wie viel Geld man besitzt, so man überhaupt welches hat, dennoch sein Ziel erreichen und seinen Traum leben kann, wenn man nur hart genug dafür kämpft. Quasi nicht „from rags to riches“, sondern „from rags to punk“.
Passend zum nunmehr 35. Frauenfilmfestival stellt Nicole Wegner als Regisseurin natürlich auch genderkritische Fragen, tauchen in ihrem musikalischen Trip doch immerhin drei Frauen auf, die sich in einem männerdominierten Gebiet behaupten müssen: die sich selbst als „Punklöwin“ bezeichnende, selbstbewusste Valentine Falcon aus San Francisco, vor deren gewaltiger Stimme man beinahe Angst bekommt, Musikerin Anna Barie aus New York City und Jenny Hoyston der reinen Frauen-Band Erase Errata aus San Francisco, eine experimentelle Post-Punk-Band. „Es war anfangs hart für mich, Frauen zu finden, die nicht nur diese Form der Musik mögen, sondern darüber hinaus auch noch wirklich darin professionell sind“, sagt Hoyston. „Ich hatte das Gefühl etwas aus meiner Seele herausschreien zu müssen, die Löwin in mir befreien zu müssen“, war die Motivation Valentine Falcons.
Doch neben all der Selbstverwirklichung pocht in Wegners Musiktrip parallel zum Punkbeat gleichzeitig permanent eine gewisse Wut. Wut auf eine Welt, in der alles dem Konsum untergeordnet wird. Selbst die Kultur. Deshalb wollte sie eine Doku kreieren mit Menschen, die die starke Sehnsucht verspüren, Musik zu machen, ohne dabei nur an Kommerz und Profit zu denken. Die stattdessen versuchen, alternative Wege einzuschlagen, um dieses Ziel zu erreichen. „Ich finde, nichts ist ferner der Musik als die Musikindustrie – und auch der Kunst ist nichts ferner als der Kunstmarkt“, so die KHM-Absolventin, die nebenbei selbst als DJane und in der Baustelle Kalk arbeitet.
Der Musiker und Punklabel-Besitzer Ian MacKaye bringt es in ihrem Film auf den Punkt: „Musik war von Anfang an ein zentrales Element des Lebens. Und irgendwie wurde sie dann in diesen merkwürdigen kleinen Unterhaltungsapparat eingezwängt.“ Somit ist „Parallel Planes“ auch ein ehrliches, kritisches Portrait, das nicht nur von Erfolg, sondern auch von Problemen und Misserfolg berichtet: So arbeitet Valentine Falcon etwa inzwischen als Musikheilpraktikerin, Erase Errata haben sich aufgelöst, viele können ihr tägliches Brot als Musiker allein nicht verdienen. Greg Saunier resümiert diesen absurden Zwiespalt, den schmalen Grat zwischen Traum und Alptraum: „Amerika ist ein wahrhaft skurriler Ort“, sagt er, während im Hintergrund Cowboys an ihm vorbeireiten. „Ich identifiziere mich immer noch mit dieser Immigrationsgeschichte, fühle mich nach wie vor wie ein Flüchtling. Es gibt sehr sehr viel, wogegen man in diesem Land sein kann. Und ich bin nach wie vor gegen vieles,“ sagt er lachend. „Parallel Planes“ ist ein dichter, wohldurchdachter Film, der stellenweise an ein gutes Musik-Tape erinnert.
Und so erstaunt es nicht, dass nach dem Film ein Konzert des Kölner Performance-Duos UMMN folgt – mit einer schreienden Sängerin und einem Unterwäsche tragenden, sich in den Schritt greifenden Musiker, welches elektronische apokalyptische Post-Punk-Klänge aus der Unterhose ins System schreit, bevor es das Publikum mit rekonstruierter Waschmaschinenmusik zurücklässt.
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