Klüngel: Gruppe von Personen, die sich gegenseitig Vorteile verschaffen. Konnotation: abwertend. So steht‘s im Duden geschrieben. Der legendäre Kölner Kabarettist und Filmemacher Heinrich Pachl („Homo Blech“) drückte es noch ein bisschen rabiater aus: „Klüngel ist freiwillige Selbstverarschung.“ Zeit seines Lebens hatte der Gründer der „Kölner Wochenschau“, des ersten alternativen Videomagazin Kölns, die Lokalpolitik aufgemischt und dabei immer auch die Stadtplanung und den kölschen Klüngel ins Visier genommen. Am Mittwoch begrüßten Ehefrau Li Daerr-Pachl, Irene Schoor von Köln im Film e.V. und der ehemalige Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz zum zweiten Abend der fünfteiligen Veranstaltungsreihe „Heinrich Pachl – Agent für vertrauenswürdige Maßnahmen“ mit Filmausschnitten und Pachls WDR-Beitrag „Die KölnVerschwörung – eine Real-Satire“ (2002) im ausverkauften Odeon. Der Titel des Abends: „Köln ist Kasse – Spielregeln des Klüngelns“. Gäste waren daher unter anderem der Kabarettist Wilfried Schmickler und Thor Zimmermann aus dem Stadtrat.
Heinrich Pachl, das ist ein Aufklärer gewesen. Einer, der mit sarkastischer Improvisation, die scherz- und schmerzhaft zugleich war, immer mitten ins Schwarze traf. Er selbst verstand sich nie nur als Künstler, der zahlreiche Soloprogramme, Theaterstücke und Fernsehfilme produziert hat, nie nur als Quatschmacher. Er wollte immer auch politisch sein, Fehlentwicklungen aufdecken, im Dreck wühlen und dann die Wahrheit zu Tage fördern. Seiner Frau beschrieb er das einmal so: „Ich bin wie ein Förster, der seinen Schülern einen Ameisenhaufen erklärt. Bei dem ganzen Gewimmel musst du erstmal näher hinsehen, um zu wissen, wie es funktioniert.“ Aufspüren und sich einmischen, mit allen Konsequenzen. Das war Heinrich Pachl.
Pachl als Sicherheitsrisiko
„Für einen jungen WDR-Redakteur war er deshalb auch immer ein gewisses Sicherheitsrisiko“, erinnert sich Wolfgang Schmitz. „Oft hatte man Abläufe abgesprochen, die Pachl aber eher als unverbindliche Idee ansah – und dann alles umschmiss.“ Dass Pachl unangenehm werden konnte, verdeutlicht auch Pachls 45-minütiger WDR-Beitrag im Odeon. Nicht weil er unverschämt oder dreist war. Er ließ aber nicht los, verschaffte Gehör für Themen, die in den traditionellen Medien keinen Platz fanden, rückte politischen Akteuren auf die Pelle und stellte Fragen, mit denen er ganze Fässer aufmachte.
In diesem Fall: den Kölner Müllskandal in den 90er Jahren, der mit der Verurteilung des damaligen Steinmüller-Chefs Sigfrid Michelfelder und dem ehemaligen Leiter des städtischen Hauptamtes Ulrich Eisermann erst im Mai 2004 endete. Damals ging es um 11 Mio. Euro Schmiergelder, die beim Bau einer Müllverbrennungsanlage (MVA) geflossen waren. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen flog auch die Spendenaffäre der Kölner SPD auf, die illegale Dankeschön-Spenden angenommen hatte. Pachl spricht in „KölnVerschwörung“ mit Kölner Bürgern, Historikern, Ratsherren oder Soziologen, die raten: Wir sollten nicht die Augen davor verschließen, dass wir beschissen werden. Die Frage ist eher, wie wir damit umgehen. Man könnte zum Beispiel wieder ein Staatsoberhaupt mit Krone hinsetzen, schlägt ein Metzger vor. Oder die Stadt mit „neuen Bildern wieder sexy machen“, erklärt eine Expertin für Marketing und Promotion. Pachl hat eine bessere Idee. Er will Kölns Stadtteile in Aktienlandschaften verwandeln – und jeder Mitbürger bekommt einen Anteil daran. Kurz: Er wird Shareholder.
Lust aufs Einmischen
Dazu passt auch sein Gedicht „Corporate Identity“, das Wilfried Schmickler als Hommage an dessen Sprachduktus vorliest. Der Mensch verwandelt sich in eine Ich-AG; das eigene Aktienpaket, geschaffen für den Turbokapitalismus, steht in einem besonderen Verhältnis zu sich selbst: Es kann sich abschaffen und wiedereinstellen, wegrationalisiert und für neue Zwecke missbraucht werden. „Ich kenne niemanden, der auf sprachlich so hoher Ebene politische Themen zu verarbeiten wusste, sie abstrahieren konnte mit einem Witz, der immer hintenrum kam“, erzählt Schmickler. Pachl habe das Publikum immer für sich eingenommen.
Tatsächlich machen seine Filme Mut. Sie sind ehrlich, aber vor allem optimistisch, zeigen Einsatz und geben Anstoß zur Veränderung, machen Lust aufs Einmischen. Das ist auch, was Pachl immer wollte. Eben nicht als Künstler gefeiert zu werden, sondern die Bürger zu animieren. Dazu, etwas zu tun. Gegen Korruption und den Kölner Klüngel. Gegen die, er sagte es so schön, „freiwillige Selbstverarschung“.
Heinrich-Pachl-Reihe | 10.4., 8.5. 19 Uhr | Odeon | 28.5. 20 Uhr | Kulturkirche Köln | www.koeln-im-film.de
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